Forschungsgebiete

Wachstums- und Sterblichkeitsraten von Bakterien 

Wachstum ist ein grundlegender Parameter in der mikrobiellen Ökologie. Normalerweise werden die Wachstumsraten mit Hilfe von Verdünnungskulturen oder in Aufnahmeexperimenten mit radioaktiv markierten Substraten bestimmt. Jan Brüwer wählte in seiner Doktorarbeit einen zytometrischen Ansatz. Er suchte nach sich teilende Zellen, indem er die DNA-Verteilung innerhalb einzelner Zellen untersuchte. Zwei Maxima pro Zelle deuten auf eine sich teilende Zelle hin, kurz bevor sich die Zelle in zwei Tochterzellen aufteilt. Er kalibrierte diesen Ansatz erfolgreich mit Verdünnungskulturen und wandte ihn auf blühende Bakteriengruppen während zweier mariner Frühjahrsblüten in der Nordsee bei Helgoland an. Für copiotrophe Bakteriengruppen ermittelte er Zellteilungsraten von bis zu zweimal pro Tag (Brüwer et al., 2023). Überraschenderweise zeigte die SAR11 Gruppe während der Frühjahrsblüte Phasen extensiven Wachstums, ähnlich wie typische copiotrophe Kladen, gleichzeitig gingen aber ihre Zellzahlen zurück. Jan vermutete eine starke Sterblichkeit, die durch eine Phageninfektion verursacht wurde. Mithilfe von direct-geneFISH, das auf die drei wichtigsten Pelagiphagenspezies abzielt, zeigte er, dass während einer Phase mit hohem Wachstum und Zellrückgang bis zu 19% der SAR11-Zellen mit Phagen infiziert waren. Im globalen Durchschnitt waren zu jeder Zeit mehrere Prozent der SAR11-Zellen mit Phagen infiziert.

Während dieser Studie entdeckte Jan auch einen Zelltyp, in dem er die infizierenden Pelagiphagen hybridisieren konnte, die 16S ribosomale RNA aber nicht nachweisbar war. Er postulierte, dass sich diese Zellen in einem Übergangszustand mit hoher Phagenproduktion befinden, in denen sie hoch infiziert sind, aber noch nicht lysieren und noch keine neue Phagen-Nachkommen freisetzen. In diesem Stadium bauen die Viren möglicherweise ihre gesamte RNA ab, um die Nukleotide als Ressource für die Synthese neuer Phagengenome zu nutzen (Brüwer et al., 2024). Jan nannte Zellen in diesem Stadium „Zombiezellen“.

SAR11 zombie cells
SAR11- und Phagenpopulationsdynamik während der Phytoplankton-Frühjahrsblüte 2020 an der Helgoland Reede. A) Chlorophyll a-Konzentration als Indikator für die Entwicklung der Phytoplanktonblüte, B) SAR11-Zellteilungsrate, C) SAR11-Zellzahlen, D) Der Anteil der phageninfizierten SAR11-Zellen (gelb; relativ zur SAR11-Zellzahl) und der Zombie-Zellen (violett; relativ zur gesamten DAPI-gefärbten Zellzahl) sind als Rohwerte pro Tag dargestellt. Die Loess-Glättung wird als Linienplots dargestellt. Die Anzahl der infizierten und der Zombie-Zellen ist nur proportional zur SAR11- bzw. zur Gesamtzahl der Zellen. Die durchschnittliche Negativkontrolle über alle Proben wird als rot-gestrichelte Linie (d.h. als Hintergrund) dargestellt (Brüwer et al., 2024, Nat Comm).

Zellsortierung für Proteomik Analysen

Die Vorhersage von metabolischen Funktionen aufgrund von (meta-)genomischer Annotation ist begrenzt. Ein Schritt näher am Metabolismus und der ökologischen Rolle eines Mikroorganismus sind seine exprimierten Proteine.

In diesem Projekt entwickeln wir die Kombination aus FISH und FACS weiter und kombinieren die Zellsortierung mit der Metaproteomik. In Pilotstudien konnten wir bereits mehrere hundert Peptide aus nur einer Million sortierter Zellen nach FISH identifizieren. Dieses Projekt ist Teil der DFG Forschungsgruppe FOR 2406 (Proteogenomics Of Marine Polysaccharide Utilization - POMPU).

 >>Hier<< finden Sie mehr Informationen zum Unterprojekt 2: In situ mechanisms of polysaccharide degradation of key bacteroidetal genera in spring algae blooms.

Auf diesem Projekt arbeitet Grace Ho im Rahmen ihrer Doktorarbeit.

Forschungsgruppe Durchflusszytometrie

Grace Ho

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

1339

Telefon: 

+49 421 2028-9099

Grace Ho
Proteomics aus 10^6 sortierten Polaribacter KT25b Zellen
Sogenannte "peptide heat map" der Proteomanalyse von 10^6 sortierten Polaribacter KT25b Zellen. "Treated" sind Ergebnisse von fixierten Zellen nach FISH und Zellsortierung; "untreated" sind unbehandelte sortierte Zellen (Becher, Fuchs, unveröffentlicht) © Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

Visualisierung von zellulären Merkmalen in komplexen Planktonproben

In den letzten Jahren wurde das geneFISH-Protokoll in unserer Abteilung weiter optimiert, um spezifische Gene in komplexen natürlichen Proben nachzuweisen (Barrero-Canosa et al., 2017). Während ihrer Doktorarbeit gelang es Laura Zeugner, das Protokoll weiter zu vereinfachen, ohne Abstriche bei der Spezifität machen zu müssen. Innerhalb von 4 Stunden Inkubation konnte sie mit hochauflösender Mikroskopie Gene für zwei verschiedene Enzyme der Glykosidhydrolase-Familie 92 (GH92) in komplexen Planktonproben nachweisen. Beide GH92 bauen mannosehaltige Polysaccharide ab und werden zusammen mit anderen kohlenhydrataktiven Enzymen in sogenannten Polysaccharid-Utilization-Loci (PULs) kodiert. Laura konnte das GH92 eines konservierten PULs in einzelligen Polaribacter und Formosa in Meeresplanktonproben nachweisen. Interessanterweise entdeckte Laura nicht nur freilebende, sondern auch GH92-positive Zellen, die an Meerespartikel gebunden sind, was unsere ökologische Sicht auf den flavobakteriellen Mannoseabbau erweitert (Zeugner et al., 2021).

GH92 gene detection in planktonic bacteria
Nachweis von GH92-Genen mit direct-geneFISH in einer Planktonprobe, die während der Frühjahrsalgenblüte 2010 in der Deutschen Bucht genommen wurde. Übersichtsbild (links) zu den vergrößerten Regionen (rechts) von Polaribacter spp. des „Clusters 3a“, die mit Hilfe der 16S rRNA-Sonde POL183a (türkis) und der geneFISH-Sonde POL-GH92_a (gelb) nachgewiesen wurden. Maßstabsbalken = 1 µm (Bild entnommen aus Zeugner et al., 2021). Links ist gut zu erkennen, dass sich die Polaribacter-Zellen höchstwahrscheinlich auf einem Partikel befinden.

In ihrer Doktorarbeit verfolgte Greta Giljan einen weiteren, neuen Ansatz. Sie verwendete fluoreszierend-markierte Polysaccharide wie Laminarin und Fucoidan, um zu testen, welche Mikroorganismen diese Substrate über den "egoistischen" ("selfish") Mechanismus aufnehmen. In Kurzzeitinkubationen mit Helgoländer Nordseewasser wurden Zellen, die große Mengen an Polysacchariden in ihr Periplasma aufnahmen, mittels Durchflusszytometrie aussortiert und taxonomisch identifiziert. Insgesamt stellten wir starke saisonale Schwankungen bei der Polysaccharidaufnahme fest. Die stärksten Fluoreszenzsignale kamen insbesondere von Zellen, die zur verrucomicrobiellen Familie der Pedosphaeraceae (Giljan et al., 2022)

Stained Verrucomicrobiae from Helgoland roads
Die mikroskopische Aufnahme zeigt die periplasmatische Anhäufung von fluoreszein-markiertem Laminarin (grün), die entsprechende DAPI-Nukleinsäure-Gegenfärbung (blau) und die ribosomale RNA von verrucomicrobiellen Pedosphaeraceae-Zellen, die mit der 4 x Atto594-markierten Pedo431-FISH-Sonde (rot) gefärbt wurden, dargestellt als Überlagerung aller drei Farben. Maßstabsbalken = 2 µm (Bild entnommen aus Giljan et al., 2022). Die Zellen wurden durchflusszytometrisch nach ihrem Laminarin-Signal aussortiert.

Nischenanpassung der weit verbreiteten Flavobakteriengruppe NS5

Seit seiner Entdeckung Anfang 2000 wurde die Flavobakteriengruppe NS5 häufig in Bakterioplankton-Analysen gefunden, aber noch nicht näher eingehend charakterisiert. Während seiner Doktorarbeit untersuchte Taylor Priest die NS5-Gruppe auf globaler Ebene und konnte sechs Gattungen abgrenzen, darunter vier neue NS5-Gattungen, die 35 Artencluster umfassen. Anhand von Proben aus der FRAM-Straße (Priest et al., 2021) stellte er einen Metagenomik-Datensatz zusammen und rekonstruierte den Stoffwechsel der NS5-Gattungen. Durch sorgfältige bioinformatische Analysen konnte Taylor die verschiedenen ökologischen Nischen dieser Arten auf globaler Ebene eingrenzen (Priest et al., 2022). NS5_D ist zum Beispiel an höhere Temperaturen angepasst, während NS5_F auf kalte polare Gewässer beschränkt ist. Während erstere ein höheres Polysaccharid-Abbaupotenzial hat, weist letztere die höchste Anzahl an TonB-abhängigen Transportersystemen auf. Zusammenfassend zeigt Taylor überzeugend, dass die Nischenaufteilung von NS5 sowohl von biotischen als auch von abiotischen Faktoren abhängt, und es ist ihm gelungen, für jede NS5-Gattung eine Reihe von Nischen-bestimmenden Faktoren zu identifizieren.

Niches of three NS5 species
Drei ausgewählte NS5-Arten und ihre Verteilung in Abhängigkeit von den abiotischen Bedingungen. Die RPKM-Werte wurden auf der Grundlage der Read-Rekrutierung von Tara Oceans-Metagenomen zu artenrepräsentativen MAGs unter Verwendung von BBMap mit einer 99%igen Identitätsschwelle berechnet. Es wurde eine Mindestschwelle von 0,25 RPKM angewandt, um eine Mindestgenomabdeckung von 40% zu gewährleisten. In den Streudiagrammen stellt jeder Punkt eine Tara Oceans-Probe dar, bei der der RPKM-Wert der Art >0,25 war. Neben jedem Scatterplot befindet sich ein Dichtediagramm, das die Verteilung der Punkte zeigt.

Südpazifischer Oceanwirbel

Der südpazifische Ozeanwirbel (SPG) ist die abgeschiedenste Meeresregion der Welt. In ihr befinden sich die klarsten Gewässer und findet sich die extremste Nährstofflimitation. Wegen dieser extremen Oligotrophie wird sie auch als „Ozeanwüste“ bezeichnet.

In einer gemeinsamen Forschungsreise mit der Abteilung für Biogeochemie fuhren wir durch den SPG, um die mikrobielle Gemeinschaft und ihre Fähigkeiten, mit solch extremen Bedingungen umzugehen, zu erforschen. Die Fahrt fand von Dezember 2015 bis Januar 2016 statt und führte quer durch den oligotrophen Südpazifikwirbel von Chile nach Neuseeland. Nach einem ersten Screening mit einer On-Board-Sequenzierungspipeline und On-Board-FISH-Analysen (Reintjes et al., 2019) konzentrierten wir uns auf die Charakterisierung neuer mikrobieller Gruppen durch gerichtete Durchflusszytometrie und Metagenomik. Neun Metagenome von drei Stationen und aus drei Oberflächenschichten wurden aus dem oligotrophen Zentrum des südpazifischen Wirbels  erstellt und von Monika Oggerin eingehend analysiert.

Eine der dominierenden Gruppen, die marine alphaproteobakterielle Gruppe AEGEAN169, wurde durch Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung mit relativen Häufigkeiten von bis zu 6% der gesamten mikrobiellen Gemeinschaft in der obersten Wasserschicht nachgewiesen. Innerhalb von AEGEAN169 gab es zwei verschiedene Genera, die Monika Candidatus Nemonibacter und Candidatus Indicimonas nannte (Oggerin et al., 2024 in Revision). Vergleichende metagenomische und metatranskriptomische Analysen der beiden AEGEAN169-Genera zeigten, dass sie im Vergleich zu ihren Konkurrenten SAR11, SAR86, SAR116 und Prochlorococcus subtile, aber unterschiedliche metabolische Anpassungen an die extremen Bedingungen im Südpazifik aufweisen. Beide AEGEAN169-Genera wiesen den höchsten Prozentsatz an Transportern pro vorhergesagtem Protein auf (9,5 bzw. 10,6%), der bisher für Bakterien berichtet wurde. Vor allem ABC-Transporter wurden in hohem Maße exprimiert, was in Kombination mit den Proteorhodopsinen darauf hindeutet, dass beide AEGEAN169-Genera von einer Vielzahl an freien Substraten leben können. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass beide Genera in einzigartiger Weise an die knappen Ressourcen in den obersten Schichten des Südpazifiks angepasst sind und in hohem Maße konkurrenzfähig sind (Oggerin et al., 2024, in Revision).

Verteilung ausgewählter mikrobieller Gruppen quer durch den Südpazifik
Verteilung ausgewählter mikrobieller Gruppen quer durch den Südpazifik © Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie/G. Reintjes et al. 2019
AEGEAN169 clades in the South Pacific Ocean
Phylogenomische Rekonstruktion der Genome, die zur AEGEAN169- Gruppe gehören. Rechts: "Super-Resolution Structured Illumination"-Mikroskopie-Aufnahmen von AEGEAN169-Zellen der Gruppe I bzw. II. Der Maßstabsbalken stellt jeweils 0,5 µm dar. Die FISH-Sonde AEGEAN169-395 zielt auf Gruppe I und ist im Baum grün hinterlegt; blau hervorgehoben im Baum ist das Ziel der AEGEAN169-744-Sonde, Gruppe II.
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