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Mo­le­ku­la­re In­di­zi­en ent­hül­len, dass Mee­res­bak­te­ri­en Pil­ze fres­sen

23.06.2022
Neue Stu­die be­leuch­tet die Rol­le von Pil­zen im Koh­len­stoff­kreis­lauf des Mee­res

Woher wissen wir, was Bakterien essen? Im Gegensatz zu Tieren haben sie keinen Rüssel, keine speziellen Zähne oder Schnäbel, anhand derer wir erkennen könnten, ob sie am liebsten Blätter, Fleisch, kleinen Insekten oder Getreide verspeisen. Stattdessen haben Bakterien aber spezifische Enzyme, die uns ihre Lieblingsspeisen verraten können. Durch die Analyse dieser Enzyme können die sonst verborgenen Zusammenhänge im komplexen bakteriellen Nahrungsnetz aufdecken. Jetzt haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen herausgefunden, dass Bakterien ihr Menü manchmal mit Pilzzuckern bereichern.

Bak­te­ri­en spie­len eine ent­schei­den­de Rol­le da­bei, die Bio­mas­se hö­he­rer Mee­res­or­ga­nis­men – etwa von Tie­ren, Al­gen und Pil­zen – zu zer­set­zen. Bei den ma­ri­nen Pil­zen wis­sen wir nur sehr we­nig über die zu­grun­de­lie­gen­den Me­cha­nis­men. Ei­ni­ge ma­ri­ne Pil­ze sind pa­ra­si­tär und kön­nen win­zi­ge Al­gen in­fi­zie­ren, ins­be­son­de­re wäh­rend Al­gen­blü­ten. Bei der Un­ter­su­chung ei­nes Bak­te­ri­ums aus der Nord­see, das sich wäh­rend der dor­ti­gen Al­gen­blü­te von Al­gen er­nährt, er­leb­ten For­schen­de des Max-Planck-In­sti­tuts für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie in Bre­men nun eine Über­ra­schung: Sie fan­den ein En­zym, das auf ein spe­zi­el­les Po­ly­sac­cha­rid (eine Art von Zu­cker) ab­zielt, das nur in Pil­zen vor­kommt. Die For­schen­den konn­ten zei­gen, wie die­ses neu­ar­ti­ge En­zym ei­nen Pilz­zu­cker zer­setzt. Ähn­li­che Po­ly­sac­cha­ri­de kom­men in den He­fen vor, die der Mensch zum Brot­ba­cken oder Bier­brau­en ver­wen­det. Der Zer­set­zungs­me­cha­nis­mus ist über­ra­schend ähn­lich, wenn auch nicht iden­tisch, zu je­nem, den die mensch­li­chen Darm­bak­te­ri­en nut­zen. Die For­schen­den prä­sen­tie­ren ihre Er­geb­nis­se nun im Fach­ma­ga­zin The ISME Journal.

Un­ter­schätz­te Ak­teu­re im ma­ri­nen Nah­rungs­netz

Es ist be­kannt, dass sich Bak­te­ri­en in den Ozea­nen von Al­gen­zu­ckern, so­ge­nann­ten Po­ly­sac­cha­ri­den, er­näh­ren. Die­se bil­den eine nahr­haf­te Mahl­zeit, ins­be­son­de­re nach dem Ab­ster­ben von Al­gen­blü­ten, wenn das Meer­was­ser vol­ler Al­gen­bio­mas­se ist. Ein For­schungs­team um Vi­pul So­lan­ki vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie hat nun her­aus­ge­fun­den, dass ein Bak­te­ri­um, das sich von Al­gen­po­ly­sac­cha­ri­den er­nährt, viel­sei­ti­ger ist als er­war­tet: Es kann auch ein aus­schließ­lich von Pil­zen her­ge­stell­tes Po­ly­sac­cha­rid nut­zen. Das Bak­te­ri­um selbst wur­de aus Meer­was­ser vor der In­sel Hel­go­land in der Deut­schen Bucht iso­liert. „Wir kön­nen hier zum ers­ten Mal zei­gen, wie ein Bak­te­ri­um ein Po­ly­sac­cha­rid aus ei­nem ma­ri­nen Pilz ab­baut“, sagt So­lan­ki. „Wir ver­mu­ten, dass die Rol­le von Pil­zen im ma­ri­nen Nah­rungs­netz, ins­be­son­de­re wäh­rend Al­gen­blü­ten, bis­her un­ter­schätzt wur­de.“

Sub­stra­te von Pil­zen als Nah­rung für Mee­res­bak­te­ri­en

Bei dem nach­ge­wie­se­nen Pilz­po­ly­sac­cha­rid han­delt es sich um ein Al­pha-1,6-Man­n­an. An­de­re Man­na­ne wur­den auch in Al­gen ge­fun­den, aber die­se be­son­de­re Art von Man­n­an ist spe­zi­fisch für Pil­ze. Die For­schen­den ka­men ihm auf die Spur, weil sie die Gene fan­den, die für En­zy­me ko­die­ren, die Al­pha-1,6-Man­na­ne zer­set­zen – ein­schließ­lich des Schlüs­se­len­zyms na­mens Sh­GH76. „Wir ken­nen sol­che En­zy­me von Bak­te­ri­en aus dem mensch­li­chen Darm. Dort zie­len sie auf Man­na­ne aus den He­fen ab, die wir zum Brot­ba­cken oder Bier­brau­en ver­wen­den“, er­klärt So­lan­ki. „Wir ha­ben nicht er­war­tet, sie in ei­nem Mee­res­bak­te­ri­um zu fin­den. Des­we­gen ha­ben wir die­ses En­zym ganz ge­nau un­ter­sucht“. Ein in­ter­dis­zi­pli­nä­res For­schungs­team, das Fach­wis­sen in den Be­rei­chen Gly­ko­bio­lo­gie, Pro­te­in­kris­tal­lo­gra­phie, Bio­che­mie und Ge­no­mik ver­eint, war not­wen­dig, um das En­zym zu be­schrei­ben und sein un­er­war­te­tes Sub­strat zu iden­ti­fi­zie­ren. „Ins­be­son­de­re die Rönt­gen­beu­gung von kris­tal­li­sier­tem Sh­GH76 ge­mein­sam mit syn­the­ti­schen Oli­go­man­n­an-Sub­stra­ten gab uns Auf­schluss über den zu­grun­de­lie­gen­den Me­cha­nis­mus“, be­tont So­lan­ki.

Ein feh­len­des Teil im ma­ri­nen Koh­len­stoff­kreis­lauf

Was ge­nau macht der Pilz im Meer? Höchst­wahr­schein­lich in­fi­ziert er Al­gen. Die­ser Schluss liegt nahe, da Sh­GH76-ähn­li­che Gene in mi­kro­bi­el­len Ge­mein­schaf­ten wäh­rend Al­gen­blü­ten be­son­ders häu­fig vor­kom­men, so die For­schen­den. Die Pil­ze könn­ten also gleich zwei wich­ti­ge Rol­len im ma­ri­nen Koh­len­stoff­kreis­lauf spie­len: Ers­tens macht sie durch ih­ren Pa­ra­si­tis­mus die Al­gen­bio­mas­se für Mee­res­bak­te­ri­en ver­füg­bar, und zwei­tens bil­den sie selbst eine Nah­rungs­quel­le für die Bak­te­ri­en. „Der Um­satz von or­ga­ni­schem Ma­te­ri­al aus Pil­zen spielt eine Rol­le im ma­ri­nen Koh­len­stoff­kreis­lauf, aber das Aus­maß und die ge­nau­en Me­cha­nis­men ver­ste­hen wir der­zeit kaum“, so So­lan­ki. „Un­se­re Stu­die ist ein ers­ter Schritt zu ei­nem tie­fe­ren Ver­ständ­nis die­ses ver­nach­läs­sig­ten Teils des ma­ri­nen Koh­len­stoff­kreis­laufs.“

Röntgenkristallstrukturen von ShGH76
Röntgenkristallstrukturen von ShGH76. Das schwarze Rechteck markiert die aktive Stelle. ©Vipul Solanki/Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie
Dr. Vipul Solanki
Dr. Vipul Solanki im Labor, auf der Suche nach kristallisierten Enzymen. © Katrin Matthes/Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

Ori­gi­nal­ver­öf­fent­li­chung

Vi­pul So­lan­ki, Ka­ren Krü­ger, Co­nor J. Cra­w­ford, Alon­so Par­do-Var­gas, José Dan­g­lad-Flo­res, Kim Le Mai Hoang, Lee­ann Klas­sen, D. Wade Ab­bott, Pe­ter H. See­ber­ger, Ru­dolf I. Amann, Han­no Tee­ling and Jan-Hen­drik Hehe­mann (2022): Gly­co­si­de hy­dro­la­se from the GH76 fa­mi­ly in­di­ca­tes that ma­ri­ne Salegentibacter sp. Hel_I_6 con­su­mes al­pha-man­n­an from fun­gi. The ISME Jour­nal.(ver­öf­fent­licht am 12. April 2022)

DOI: 10.1038/s41396-022-01223-w 

Be­tei­lig­te In­sti­tu­tio­nen

  • Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, 28359 Bremen, Deutschland
  • Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, 14476 Potsdam, Deutschland
  • Forschungs- und Entwicklungszentrum Lethbridge, Landwirtschaft und Agrarnahrungsmittel Kanada, Lethbridge, AB T1J 4B1, Kanada
  • Universität Bremen, Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, MARUM, 28359 Bremen, Deutschland

Rück­fra­gen bit­te an:

Pressereferentin

Dr. Fanni Aspetsberger

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

1345

Telefon: 

+49 421 2028-9470

Dr. Fanni Aspetsberger
 
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