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Nicht über den Hun­ger es­sen: Wie Ar­chae­en ihre Stick­stoff­auf­nah­me schal­ten

22.01.2024

Mikroorganismen wollen nicht zu viel Stickstoff aufnehmen, weil das Energie verschwenden würde. Deswegen kontrollieren sie ihre Stickstoffaufnahme streng. Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie zeigen nun, wie dies bei manchen methanogenen Archaeen gelingt.

Le­ben braucht Stick­stoff. Le­be­we­sen ha­ben vie­le ver­schie­de­ne Stra­te­gi­en ent­wi­ckelt, um an Stick­stoff zu kom­men. Men­schen bei­spiels­wei­se es­sen des­we­gen die stick­stoff­rei­chen Pro­te­ine. Die meis­ten Mi­kro­or­ga­nis­men neh­men Stick­stoff in Form von Am­mo­ni­ak (NH3) auf. Da es en­er­gie­auf­wän­dig ist, Am­mo­ni­ak auf­zu­neh­men, und da En­er­gie in der Um­welt üb­li­cher­wei­se Man­gel­wa­re ist, müs­sen sie die­se Auf­nah­me streng re­gu­lie­ren. Eine Grup­pe von For­schen­den um Tris­tan Wag­ner vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie in Bre­men hat die­se Re­gu­lie­rung nun in ei­ner bis­her we­nig er­forsch­ten Grup­pe von Mi­kro­or­ga­nis­men un­ter­sucht: den Ar­chae­en.

Ar­chae­en und Bak­te­ri­en äh­neln sich zwar in Grö­ße und Form, ge­hö­ren aber un­ter­schied­li­chen „Do­mä­nen des Le­bens“ an. Bei Bak­te­ri­en ist die Re­gu­lie­rung der Stick­stoff­auf­nah­me gut er­forscht und sehr kom­plex. Über den Pro­zess in Ar­chae­en weiß man je­doch ver­gleichs­wei­se we­nig. „Des­halb woll­ten wir her­aus­fin­den, wie das bei die­sen we­nig er­forsch­ten Mi­kro­ben funk­tio­niert“, sagt Er­st­au­to­rin Ma­rie-Ca­ro­li­ne Mül­ler. Ge­mein­sam mit For­schen­den der Rad­boud Uni­ver­si­tät in den Nie­der­lan­den un­ter­such­ten sie in zwei me­than-pro­du­zie­ren­den (me­tha­no­ge­ne) Ar­chae­en das En­zym, das für die Stick­stoff­auf­nah­me ver­ant­wort­lich ist. Ihre Er­geb­nis­se ver­öf­fent­li­chen sie jetzt im Fach­ma­ga­zin Communications Biology.

Ein mo­le­ku­la­rer Schal­ter – zwei Wege, ihn zu be­tä­ti­gen

Für ihre Ex­pe­ri­men­te nutz­ten die For­schen­den Or­ga­nis­men aus sehr un­ter­schied­li­chen Le­bens­räu­men: Die eine Art, Methanothermococcus thermolithotrophicus, stammt aus Se­di­men­ten im Golf von Nea­pel, die an­de­re, Methermicoccus shengliensis, aus ei­nem Ölfeld in Chi­na.

„Ge­ne­rell sind sich die un­ter­such­ten Or­ga­nis­men zwar recht ähn­lich, aber wir ha­ben fest­ge­stellt, dass sie ihre Stick­stoff­auf­nah­me ganz un­ter­schied­lich re­gu­lie­ren“, so Mül­ler. Sie be­nut­zen den­sel­ben Schal­ter, um die Stick­stoff­auf­nah­me ein- oder aus­zu­schal­ten, aber sie be­tä­ti­gen ihn auf un­ter­schied­li­che Wei­se.

Zu­nächst iso­lier­ten die For­scher die Glut­amin­syn­the­ta­se – je­nes En­zym, das für die en­er­gie­ab­hän­gi­ge Auf­nah­me von Stick­stoff ver­ant­wort­lich ist – aus bei­den Or­ga­nis­men und über­prüf­ten sei­ne Ak­ti­vi­tät. Hier er­leb­ten sie die ers­te Über­ra­schung: Wäh­rend das En­zym aus M. shengliensis wie er­war­tet ak­tiv war, war je­nes aus M. thermolithotrophicus es nicht. Of­fen­sicht­lich be­sa­ßen bei­de Or­ga­nis­men das­sel­be En­zym für die Stick­stoff­auf­nah­me, re­gu­lier­ten es aber un­ter­schied­lich. Sie hat­ten ver­schie­de­ne Mög­lich­kei­ten, es an- und aus­zu­schal­ten. M. shengliensis ver­hielt sich wie er­war­tet. Aber was war der Aus­lö­ser in M. thermolithotrophicus? Die For­schen­den ver­such­ten es mit ei­ner Ver­bin­dung na­mens 2-Oxog­lut­a­rat, das nach­weis­lich die Ak­ti­vi­tät der Glut­amin­syn­the­ta­se in man­chen Ar­chae­en er­höht. „Und tat­säch­lich, es funk­tio­nier­te!“, sagt Mül­ler. „Das war ein auf­re­gen­des Er­geb­nis. Wir hat­ten ei­nen Weg ge­fun­den, wie man den Schal­ter für die Ak­ti­vi­tät des En­zyms in M. thermolithotrophicus um­le­gen kann. Und wir ha­ben es so­gar ge­schafft, die Auf­nah­me zu re­gu­lie­ren, in­dem wir die Kon­zen­tra­ti­on von 2-Oxog­lut­a­rat ver­än­der­ten: Wenn die Zel­le Stick­stoff be­nö­tigt, steigt der 2-Oxog­lut­a­rat-Spie­gel und schal­tet die Glut­amin­syn­the­ta­se ein. Hat die Zel­le aber ge­nug Stick­stoff, sinkt der 2-Oxog­lut­a­rat-Spie­gel auf eine Kon­zen­tra­ti­on, die zu nied­rig ist, um das En­zym ak­tiv zu hal­ten. Da­durch wird eine wei­te­re Stick­stoff­auf­nah­me ver­hin­dert. So­mit wird kei­ne En­er­gie ver­schwen­det, wenn die Zel­le gut mit Stick­stoff ver­sorgt ist.“

Grafik
Oberflächenstrukturen der Glutaminsynthetase von Methermicoccus shengliensis (MsGS, violett) und Methanothermococcus thermolithotrophicus (MtGS, türkis), die unterschiedlich durch 2-Oxoglutarat und Glutamin reguliert werden. Die Pfeile zeigen den Weg der Ammoniakaufnahme und der Aktivitätsregulierung an. © M.-C. Müller und T. Wagner/Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

Des Wei­te­ren ent­deck­ten die For­schen­den, dass das En­zym von M. shengliensis durch Glut­amin – das Mo­le­kül, das den Stick­stoff in der Zel­le trägt – de­ak­ti­viert wird. Die­se Re­ak­ti­on wur­de be­reits bei ei­ni­gen Bak­te­ri­en nach­ge­wie­sen. Im Ge­gen­satz dazu ist M. thermolithotrophicus un­emp­find­lich ge­gen­über Glut­amin. Das zeigt ein­mal mehr, wie sehr sich die bei­den Mi­kro­ben in ih­rer Art der Re­gu­lie­rung un­ter­schei­den.

Ähn­li­che Mi­kro­ben, un­ter­schied­li­che Me­tho­den

Als nächs­tes woll­ten die For­schen­den her­aus­fin­den, wie ge­nau das 2-Oxog­lut­a­rat den Schal­ter für die Stick­stoff­auf­nah­me in M. thermolithotrophicus ein­schal­tet. Mit­tels Rönt­gen­kris­tal­lo­gra­phie un­ter Ver­wen­dung von Syn­chro­tron­strah­lung be­stimm­ten sie die 3D-Struk­tur des zu­vor kris­tal­li­sier­ten En­zyms mit und ohne dar­an ge­bun­de­nes 2-Oxog­lut­a­rat. Au­ßer­dem ver­gli­chen sie es mit dem an­de­ren un­ter­such­ten Or­ga­nis­mus, M. shengliensis. Bei M. thermolithotrophicus bin­det das 2-Oxog­lut­a­rat in ei­ner Ta­sche weit ent­fernt vom ak­ti­ven Zen­trum des En­zyms, in dem die Re­ak­ti­on statt­fin­det. Durch die Bin­dung an 2-Oxog­lut­a­rat kommt es zu Ver­schie­bun­gen im En­zym, so­dass es die ak­ti­ve Form an­nimmt. Bei M. shengliensis hin­ge­gen kann das 2-Oxog­lut­a­rat nicht an das En­zym bin­den, des­we­gen ruft das 2-Oxog­lut­a­rat hier kei­ne Re­ak­ti­on her­vor. „Jetzt kön­nen wir ganz ge­nau be­schrei­ben, wie der 2-Oxog­lut­a­rat-Schal­ter funk­tio­niert und wel­che En­zy­me da­für emp­fäng­lich sind“, so Mül­ler.

„Selbst eng ver­wand­te Mi­kro­ben, wie die me­tha­no­ge­nen Ar­chae­en, ha­ben un­ter­schied­li­che Wege ent­wi­ckelt, um die Stick­stoff­auf­nah­me zu steu­ern“, fasst Wag­ner zu­sam­men. „Die­ses von der Evo­lu­ti­on ge­schlif­fe­ne Re­gu­lie­rungs­sys­tem, ge­zielt und schnell auf die Be­dürf­nis­se der Zel­le zu re­agie­ren, ist wun­der­bar. Und wir rech­nen mit noch mehr Über­ra­schun­gen: Sehr wahr­schein­lich war­ten wei­te­re un­ver­mu­te­te Re­gu­lie­rungs­sys­te­me dar­auf, ent­deckt zu wer­den", so Wag­ner ab­schlie­ßend.

Müller
Marie-Caroline Müller bei der Übertragung von Glutaminsynthetase-Proteinkristallen in flüssigen Stickstoff vor einem Synchrotron-Experiment © J. Mills/Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

Ori­gi­nal­ver­öf­fent­li­chung

Ma­rie-Ca­ro­li­ne Mül­ler, Oli­vier N. Le­mai­re, Ju­lia M. Kurth, Cor­ne­lia U. Wel­te, Tris­tan Wag­ner (2024): Dif­fe­ren­ces in re­gu­la­ti­on me­cha­nisms of glut­ami­ne syn­the­ta­ses from me­tha­no­ge­nic ar­chaea un­vei­led by struc­tu­ral in­ves­ti­ga­ti­ons. Comm. Biol. 2024, ver­öf­fent­licht 19. Ja­nu­ar, 2024.

DOI: 10.1038/s42003-023-05726-w

Be­tei­lig­te In­sti­tu­tio­nen

  • Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Celsiusstraße 1, 28359 Bremen, Deutschland
  • Radboud University, Nijmegen, The Netherlands

Rück­fra­gen bit­te an:

Gruppenleiter

Dr. Tristan Wagner

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Telefon: 

+49 421 2028-7440

Dr. Tristan Wagner

Pressereferentin

Dr. Fanni Aspetsberger

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

1345

Telefon: 

+49 421 2028-9470

Dr. Fanni Aspetsberger
 
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