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Süße Oasen im Meer: Unter Seegraswiesen liegt haufenweise Zucker

02.05.2022
Seegraswiesen sind Unterwasseroasen. Nun haben Forschende unter Seegraswiesen große Mengen an Zucker gefunden. Das wirft ein neues Licht darauf, wie Pflanzen Kohlenstoff im Ozean speichern.

Forschende vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen berichten, dass Seegräser große Mengen Zucker, hauptsächlich in Form von Saccharose, in den Boden abgeben. Weltweit beläuft sich das auf mehr als 1 Million Tonnen Saccharose – genug Zucker für 32 Milliarden Dosen Cola. Derart hohe Zuckerkonzentrationen sind erstaunlich, denn normalerweise verbrauchen Mikroorganismen blitzartig jeden frei verfügbaren Zucker in ihrer Umgebung. Die Forschenden fanden heraus, dass die Seegräser auch Phenole freisetzen. Diese halten die meisten Mikroorganismen davon ab, die Saccharose abzubauen. So ist es möglich, dass die Saccharose unter den Seegraswiesen vergraben bleibt und nicht in CO2 umgewandelt und wieder in den Ozean und die Atmosphäre freigesetzt wird. Die Forschenden präsentieren ihre Entdeckung nun in der Zeitschrift Nature Ecology & Evolution.

Üppige Seegraswiesen
Üppige Seegraswiesen von Posidonia oceanica im Mittelmeer. Die Forschenden des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie gehen davon aus, dass ihre Erkenntnisse für viele Lebensräume von Meerespflanzen relevant sind, beispielweise andere Seegrasarten, Mangroven und Salzwiesen. (© HYDRA Marine Sciences GmbH)

Seegras bildet üppige Unterwasserwiesen in vielen Küstenregionen der Welt. Diese Meerespflanzen entfernen sehr effizient Kohlendioxid aus der Atmosphäre: Ein Quadratkilometer Seegras speichert fast doppelt so viel Kohlenstoff wie Wälder an Land, und das 35-mal so schnell. Jetzt haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen herausgefunden, dass Seegräser sehr viel Zucker in ihre Böden, die sogenannte Rhizosphäre, abgeben. Die Konzentration von Zucker unter dem Seegras war mindestens 80-mal so hoch wie alles, was bisher im Meer gemessen wurde. „Zur Einordnung: Wir schätzen, dass weltweit zwischen 0,6 und 1,3 Millionen Tonnen Zucker, hauptsächlich in Form von Saccharose, in der Seegras-Rhizosphäre lagern“, erklärt Manuel Liebeke, Leiter der Forschungsgruppe Metabolische Interaktionen am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie. „Das entspricht ungefähr der Menge an Zucker in 32 Milliarden Dosen Cola!“

Phenole vermiesen Mikroben die Nascherei

HYDRA
Schön anzusehen, schwer zu messen: Die Messung von Stoffwechselprodukten, wie Saccharose und Phenolen, im Meerwasser ist schwierig. Die Forschenden des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen mussten eine spezielle Methode entwickeln, um mit den großen Salzmengen im Meerwasser umzugehen, die die Messung von Metaboliten so schwierig machen. (© HYDRA Marine Sciences GmbH)

Mikroben lieben Zucker: Er ist leicht verdaulich und steckt voller Energie. Warum vernaschen die zahlreichen Mikroorganismen in der Seegras-Rhizosphäre die Saccharose nicht? „Wir haben lange versucht, das herauszufinden“, sagt Erstautorin Maggie Sogin, die die Forschung vor der italienischen Insel Elba und am Max-Planck-Institut in Bremen leitete und mittlerweile an der Universität von Kalifornien Merced tätig ist. „Wir haben festgestellt, dass Seegras – wie viele andere Pflanzen auch – Phenole in sein Sediment abgibt.“ Phenole sind in unserer Umgebung nichts Seltenes: Rotwein, Kaffee und Obst sind voll davon, und viele Menschen nehmen sie als Nahrungsergänzungsmittel zu sich. Aber diese Substanzen wirken auch antimikrobiell und hemmen den Stoffwechsel der meisten Mikroorganismen. „Wir haben Experimente durchgeführt, in denen wir die Mikroorganismen in der Seegras-Rhizosphäre mit aus dem Seegras isolierten Phenolen in Kontakt brachten – und tatsächlich wurde dort viel weniger Saccharose konsumiert, als wenn wir keine Phenole zugesetzt hatten.“

Einige Spezialisten nutzen die Zucker unter dem Seegras

Warum macht das Seegras so viel Zucker, nur um ihn dann wieder abzugeben? Nicole Dubilier, Direktorin am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, erklärt: „Das Seegras produziert den Zucker während der Photosynthese. Unter durchschnittlichen Lichtverhältnissen verwenden die Pflanzen den Großteil dieses Zuckers für ihren eigenen Stoffwechsel und ihr Wachstum. Aber bei sehr starkem Licht, zum Beispiel zur Mittagszeit oder im Sommer, produzieren sie mehr Zucker als sie verbrauchen oder speichern können. Dann geben sie die überschüssige Saccharose in ihre Rhizosphäre ab. Es ist quasi ein Überlaufventil“.

Verblüffenderweise gedeiht eine kleine Gruppe mikrobieller Spezialisten trotz der schwierigen Bedingungen. Sogin vermutet, dass diese Spezialisten nicht nur in der Lage sind, Saccharose zu verdauen und Phenole abzubauen, sondern auch dem Seegras nutzen – indem sie Nährstoffe produzieren, die es zum Wachsen braucht, etwa Stickstoff. „Solche vorteilhaften Beziehungen zwischen Pflanzen und Mikroorganismen in der Rhizosphäre kennen wir gut von Landpflanzen. Aber wir fangen gerade erst an, die innigen und komplizierten Wechselwirkungen von Seegräsern mit Mikroorganismen in der marinen Rhizosphäre zu verstehen“, so Sogin.

Wichtige, gefährdete Lebensräume

Liebeke und Dubilier
Manuel Liebeke und Nicole Dubilier am Imaging-Massenspektrometer des Bremer Max-Planck-Instituts.. (© Achim Multhaupt)

Seegraswiesen gehören zu den am stärksten bedrohten Lebensräumen unseres Planeten. „Große Mengen an gespeichertem Kohlenstoff würden freigesetzt, wenn die Seegraswiesen weiter abnehmen. Dabei zeigt unsere Forschung ganz deutlich: Nicht nur das Seegras selbst, sondern auch die großen Mengen an Saccharose unter den lebenden Seegraswiesen müssen dabei bedacht werden. Unsere Berechnungen zeigen, dass, wenn die Saccharose in der Seegras-Rhizosphäre durch Mikroben abgebaut würde, weltweit bis zu 1.540.000 Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen würden“, erklärt Liebeke. „Das entspricht etwa der Menge an Kohlendioxid, die 330.000 Autos in einem Jahr ausstoßen.“ Die Seegrasbestände nehmen in allen Ozeanen rapide ab. Die jährlichen Verluste werden an einigen Standorten auf bis zu sieben Prozent geschätzt, vergleichbar dem Verlust von Korallenriffen und tropischen Regenwäldern. Bis zu einem Drittel des weltweiten Seegrasbestandes könnte bereits verloren gegangen sein. „Wir wissen nicht so viel über Seegras wie über Lebensräume an Land“, betont Sogin. „Unsere Studie hilft uns, einen der wichtigsten Küstenlebensräume unseres Planeten besser zu verstehen und macht deutlich, wie wichtig es ist, diese „blauen Kohlenstoffökosysteme“ zu erhalten.“

Originalveröffentlichung

 

 

E. Maggie Sogin, Dolma Michellod, Harald Gruber-Vodicka, Patric Bourceau, Benedikt Geier, Dimitri V. Meier, Michael Seidel, Soeren Ahmerkamp, Sina Schorn, Grace D'Angelo, Gabriele Procaccini, Nicole Dubilier, Manuel Liebeke: Sugars dominate the seagrass rhizosphere. Nature Ecology & Evolution (2022)

DOI: 10.1038/s41559-022-01740-z

Beteiligte Institutionen

  • Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen, Deutschland
  • University of California in Merced, CA, USA
  • Universität Wien, Wien, Österreich
  • Universität Oldenburg, Oldenburg, Deutschland
  • Stazione Zoologica Anton Dohrn Napoli, Neapel, Italien

Rückfragen bitte an:

Gruppenleiter

Forschungsgruppe Metabolische Interaktionen

Dr. Manuel Liebeke

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

3244

Telefon: 

+49 421 2028-8220

Dr. Manuel Liebeke

Direktorin

Abteilung Symbiose

Prof. Dr. Nicole Dubilier

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

3241

Telefon: 

+49 421 2028-9320

Prof. Dr. Nicole Dubilier

Dr. E. Maggie Sogin

Assistenzprofessorin

Universität von Kalifornien, Merced, USA

Telefon: +1-508-566-5933

E-Mail: [Bitte aktivieren Sie Javascript]

Pressereferentin

Dr. Fanni Aspetsberger

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

1345

Telefon: 

+49 421 2028-9470

Dr. Fanni Aspetsberger
 
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