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Täu­schend ein­fach: Win­zi­ge Mee­res­tie­re le­ben in aus­ge­klü­gel­ter Sym­bio­se mit Bak­te­ri­en

10.06.2019
Die Dunk­le Ma­te­rie der Mi­kro­ben lebt in ei­nem der ein­fachs­ten Tie­re, Tri­cho­plax

Tri­cho­plax, eines der einfachsten Tiere der Welt, lebt in einer innigen und sehr spezialisierten Symbiose mit zwei Arten von Bakterien. Die eine, Grellia, ist mit parasitischen Bakterien verwandt, die Typhus und Rocky-Mountain-Fleckfieber verursachen. Doch erstaunlicherweise scheint Grellia Tri­cho­plax nicht zu schaden. Die zweite, Ruthmannia, sitzt in den Zellen, mit denen Tri­cho­plax seine Nahrung verdaut. Beide Symbionten gehören wenig erforschten und wenig bekannten Bakteriengruppen an. Die Tri­cho­plax-Symbiose bietet einen spannenden Einblick in diese „Dunkle Mikroben-Materie“. Die Studie von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie und der Universität Hawaii erscheint nun in der Zeitschrift Na­tu­re Mi­cro­bio­lo­gy.

Sieht aus wie ein Kartoffelchip: Trichoplax unter dem Mikroskop. (© Harald Gruber-Vodicka / Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie)
Sieht aus wie ein Kartoffelchip: Trichoplax unter dem Mikroskop. (© Harald Gruber-Vodicka / Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie)
Trichoplax umgeben von Bakterien und Algen. (© Michael Hadfield / Universität Hawaii)
Trichoplax umgeben von Bakterien und Algen. (© Michael Hadfield / Universität Hawaii)

Trichoplax ist ei­nes der ein­fachs­ten Tie­re, das man sich vor­stel­len kann. Es sieht aus wie ein un­för­mi­ger klei­ner Trop­fen. Stu­di­en­au­to­rin Ni­co­le Du­bi­lier sagt, es er­in­nert sie an ei­nen Kar­tof­fel­chip. Trichoplax lebt in war­men Küs­ten­ge­wäs­sern auf der gan­zen Welt und grast mi­kro­sko­pisch klei­ne Al­gen ab, die auf Sand und Fel­sen le­ben. Das win­zi­ge Tier fin­det sich auch, von Aqua­ria­nern zu­meist un­be­merkt, in fast je­dem Meer­was­seraqua­ri­um mit Ko­ral­len.

Trichoplax ge­hört zu­sam­men mit Schwäm­men und Qual­len zu ei­nem der un­ters­ten Äste im Stamm­baum der Tie­re. Bis in die 70er Jah­re war nicht ein­mal klar, ob Trichoplax über­haupt ein ei­gen­stän­di­ges, aus­ge­wach­se­nes Tier ist oder nur das Jung­sta­di­um ei­ner Qual­le. Die Tie­re mes­sen etwa ei­nen hal­ben Mil­li­me­ter im Durch­mes­ser und ha­ben we­der Mund, noch Darm, noch an­de­re Or­ga­ne. Sie be­ste­hen aus nur sechs ver­schie­de­nen Ar­ten von Zel­len. Die­se Ein­fach­heit macht Trichoplax zu ei­nem be­lieb­ten Mo­dell­or­ga­nis­mus für Bio­lo­gen.

Wis­sen­schaft­le­rIn­nen vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie in Bre­men, der Uni­ver­si­tät Ha­waii und der North Ca­ro­li­na Sta­te Uni­ver­si­tät ha­ben nun her­aus­ge­fun­den, dass Trichoplax doch nicht so sim­pel ge­strickt ist, wie es scheint. Es lebt in ei­ner aus­ge­klü­gel­ten Sym­bio­se mit äu­ßerst un­ge­wöhn­li­chen Bak­te­ri­en.

Weniger ist mehr

Schon vor etwa 50 Jah­ren be­ob­ach­te­te der deut­sche Zoo­lo­ge Karl Grell erst­mals Bak­te­ri­en im In­ne­ren von Trichoplax. Doch seit­dem hat­te sich nie­mand wei­ter mit ih­nen be­schäf­tigt. Die Grup­pe um Ha­rald Gru­ber-Vo­di­cka, Niko Leisch und Ni­co­le Du­bi­lier vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie und Mi­cha­el Had­field von der Uni­ver­si­tät Ha­waii hat die bak­te­ri­el­len Un­ter­mie­ter von Trichoplax nun ein­ge­hend er­forscht, in­dem sie ihre Ge­no­me se­quen­ziert und mit­tels hoch­auf­lö­sen­der Mi­kro­sko­pie un­ter­sucht ha­ben, wo sie le­ben. "Ob­wohl Trichoplax so ein­fach ist, fin­den in sei­nen Zel­len zwei un­ter­schied­li­che und un­ge­wöhn­li­che Bak­te­ri­en Platz", sagt Gru­ber-Vo­di­cka. "Bei­de Sym­bi­on­ten sind sehr wäh­le­risch – oder zell­spe­zi­fisch, wie wir es nen­nen. Sie le­ben je­weils in nur ei­ner Art von Wirts­zel­le."

Grellia - Der erste Symbiont im endoplasmatischen Retikulum

Der Sym­bi­ont Grel­lia, be­nannt nach dem Zoo­lo­gen Karl Grell, ist im en­d­o­plas­ma­ti­schen Re­ti­ku­lum (ER) von Trichoplax zu Hau­se. Bis­her kann­te man kei­nen Sym­bi­on­ten, der dau­er­haft im ER ei­nes Tie­res lebt. Die­ses Zell­or­ga­nell spielt eine zen­tra­le Rol­le bei der Pro­duk­ti­on von Pro­te­inen und Mem­bra­nen. Nach­zu­wei­sen, dass Grel­lia wirk­lich im ER wohnt, war äu­ßerst schwie­rig. "Wir ha­ben ein de­tail­lier­tes drei­di­men­sio­na­les Mo­dell des ER er­stellt, um zu zei­gen, dass Grel­lia dar­in lebt. Das ge­lang uns mit­hil­fe des Elek­tro­nen­mi­kro­skops am Max-Planck-In­sti­tut für Mo­le­ku­la­re Zell­bio­lo­gie und Ge­ne­tik in Dres­den", er­klärt Niko Leisch. "An­de­re pa­ra­si­tä­re Bak­te­ri­en ah­men die Struk­tur des ER nach, um ih­ren Wir­ten vor­zu­gau­keln, dass sie harm­los sind. Un­se­re Bild­da­ten zeig­ten je­doch ein­deu­tig, dass Grel­lia tat­säch­lich im In­ne­ren des ER sei­nes Wirts lebt." Ver­blüf­fen­der­wei­se scheint Grel­lia, ob­wohl eng mit Pa­ra­si­ten ver­wandt, Trichoplax nicht zu scha­den. "Grel­lia hat die nö­ti­gen Gene, um En­er­gie von sei­nem Wirt zu steh­len. Aber es be­nutzt sie nicht", so Leisch.

Ruthmannia - Dunkle Mikroben-Materie im Blick

Der zwei­te Sym­bi­ont von Trichoplax, Rut­h­man­nia, ge­hört zu ei­ner erst kürz­lich ent­deck­ten Grup­pe von Bak­te­ri­en, den Mar­gu­lis­bak­te­ri­en. "Bis­her ge­hör­ten Mar­gu­lis­bak­te­ri­en zur so ge­nann­ten Dunk­len Ma­te­rie der Mi­kro­ben – die über­wie­gen­de Mehr­heit der Mi­kro­or­ga­nis­men, die Bio­lo­gen zwar durch Se­quen­zie­rung fin­den, aber nicht kul­ti­vie­ren kön­nen", er­klärt Ha­rald Gru­ber-Vo­di­cka. "Wir ha­ben sie noch nie be­ob­ach­ten kön­nen, ob­wohl ihre ge­ne­ti­schen Spu­ren in Was­ser­pro­ben auf der gan­zen Welt zu fin­den sind." Nun ge­lang es Gru­ber-Vo­di­cka und Leisch, die ers­ten Bil­der ei­nes Mar­gu­lis­bak­te­ri­ums zu ma­chen. "Zum ers­ten Mal kön­nen wir ein Mit­glied die­ser Grup­pe se­hen. Für uns ist das ge­nau­so span­nend wie das Foto ei­nes Schwar­zen Lochs." Die­ser Sym­bi­ont lebt in Zel­len, mit de­nen Trichoplax sei­ne Al­gen­nah­rung ver­daut. "Rut­h­man­nia scheint nur Fet­te und an­de­re Li­pi­de der Al­gen zu ver­wer­ten, den Rest über­lässt es sei­nem Wirt. Im Ge­gen­zug ver­sorgt Rut­h­man­nia Trichoplax ver­mut­lich mit Vit­ami­nen und Ami­no­säu­ren." Nun, da Trichoplax in den La­bors des Max-Planck-In­sti­tuts für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie ge­deiht, kön­nen die Au­to­ren je­der­zeit an die­sen rät­sel­haf­ten Bak­te­ri­en ar­bei­ten.

In der Falle: Bewachsene Trichoplax-Fallen, die im seichten Wasser unter einem Steg aufgehängt wurden. (© Harald Gruber-Vodicka / Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie)
In der Falle: Bewachsene Trichoplax-Fallen, die im seichten Wasser unter einem Steg aufgehängt wurden. (© Harald Gruber-Vodicka / Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie)
Harald Gruber-Vodicka, Nicole Dubilier und Niko Leisch vor dem Aquarium im Foyer des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie. Auch in diesem Korallenaquarium lebt Trichoplax mit seinen Symbionten. (© Christian Borowski / Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie)
Harald Gruber-Vodicka, Nicole Dubilier und Niko Leisch vor dem Aquarium im Foyer des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie. Auch in diesem Korallenaquarium lebt Trichoplax mit seinen Symbionten. (© Christian Borowski / Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie)

Was kommt als nächstes?

"In die­ser Stu­die ha­ben wir uns mit den sym­bio­ti­schen Part­nern ei­ner ein­zi­gen Trichoplax-Art be­schäf­tigt", sagt Ni­co­le Du­bi­lier, Di­rek­to­rin am Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie. "Es gibt aber min­des­tens 20 wei­te­re Ar­ten. Un­se­re ers­ten Er­geb­nis­se deu­ten dar­auf hin, dass jede Wirts­art ihre ei­ge­ne, ty­pi­sche Gar­ni­tur von Sym­bi­on­ten hat. Wir sind schon sehr ge­spannt, die­se er­staun­li­che Viel­falt und ihre Ent­wick­lung wei­ter zu un­ter­su­chen. Die­se win­zi­gen Tie­re se­hen nicht nur aus wie Kar­tof­fel­chips, auch an ih­rem In­halt wer­den wir noch ei­ni­ges zu Knab­bern ha­ben.“

 

Ori­gi­nal­ver­öf­fent­li­chung

Ha­rald R. Gru­ber-Vo­di­cka, Ni­ko­laus Leisch, Ma­nu­el Klei­ner, Tjor­ven Hinz­ke, Ma­nu­el Lie­be­ke, Mar­ga­ret Mc­Fall-Ngai, Mi­cha­el G. Had­field, Ni­co­le Du­bi­lier: Two in­tra­cel­lu­lar and cell type-spe­ci­fic bac­te­ri­al sym­bi­onts in the pla­co­zo­an Tri­cho­plax H2. Na­tu­re Mi­cro­bio­lo­gy. DOI: 10.1038/s41564-019-0475-9

Be­hind the pa­per

Ha­rald R. Gru­ber-Vo­di­cka: A simple animal reveals fascinating insights in intracellular symbionts. Na­tu­re Mi­cro­bio­lo­gy Com­mu­ni­ty.

Teil­neh­men­de In­sti­tu­tio­nen

  • Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen, Deutschland
  • Universität Hawaiʻi, Mānoa, Honolulu, USA
  • North Carolina State University, Raleigh, North Carolina, USA
  • Universität von Calgary, Alberta, Kanada

Rück­fra­gen bit­te an:

Guest

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Dr. Harald Gruber-Vodicka

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Dr. Fanni Aspetsberger
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