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Üppi­ge Schwamm­gär­ten auf Un­ter­see-Ber­gen in der ark­ti­schen Tief­see ent­deckt

08.02.2022
Schwäm­me wach­sen in gro­ßer Zahl und zu be­ein­dru­cken­der Grö­ße auf den Gip­feln er­lo­sche­ner Un­ter­was­ser­vul­ka­ne

Auf den Gipfeln von Seebergen im zentralen Arktischen Ozean, einem der nährstoffärmsten Meere der Erde, gedeihen riesige Schwammgärten. Die Schwämme ernähren sich scheinbar von den Überresten ausgestorbener Tiere. Mikroorganismen helfen ihnen dabei, dieses Material als Nahrungs- und Energiequelle zu nutzen. Forschende aus Bremen, Bremerhaven und Kiel sowie ihre internationalen Partner entdeckten diesen einzigartigen Hotspot des Lebens während einer POLARSTERN-Expedition und berichten nun in der Fachzeitschrift Na­tu­re Com­mu­ni­ca­ti­ons über ihre Erkenntnisse. Es ist unerlässlich, die Vielfalt und Einzigartigkeit der arktischen Ökosysteme besser zu verstehen, gerade vor dem Hintergrund globaler und lokaler Veränderungen, betonen die Forschenden.

OFOS
Das vom Forschungseisbrecher POLARSTERN aus betriebene Ozeanboden-Beobachtungssystem (OFOS) des Alfred-Wegener-Instituts zeigt eine Gemeinschaft von Dutzenden von Schwämmen, deren Durchmesser von einem Zentimeter bis zu einem halben Meter reicht. Sie sind so dicht, dass sie die oberen Gipfel des Langseth-Rückens fast bedecken. (© Alfred-Wegener-Institut/PS101 AWI OFOS System)

Dort, wo der Ark­ti­sche Oze­an stän­dig von Eis be­deckt ist und nur we­nig Licht für das Wachs­tum von Al­gen zur Ver­fü­gung steht, er­reicht kaum Nah­rung die tie­fen Was­ser­schich­ten. Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler aus Bre­men, Bre­mer­ha­ven und Kiel ent­deck­ten nun je­doch ein über­ra­schend üp­pi­ges, dicht be­sie­del­tes Öko­sys­tem auf den Gip­feln er­lo­sche­ner Un­ter­was­ser­vul­ka­ne. Die­se Hot­spots des Le­bens wer­den von Schwäm­men do­mi­niert, die dort in gro­ßer Zahl und zu be­ein­dru­cken­der Grö­ße wach­sen.

„Auf den er­lo­sche­nen vul­ka­ni­schen See­ber­gen des Langseth-Rü­ckens fan­den wir rie­si­ge Schwamm­gär­ten, aber wir wuss­ten nicht, wo­von sie sich er­näh­ren“, be­rich­tet Ex­pe­di­ti­ons­lei­te­rin Ant­je Boe­ti­us, Lei­te­rin der For­schungs­grup­pe für Tief­see­öko­lo­gie und -tech­no­lo­gie am Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie und Di­rek­to­rin des Al­fred-We­ge­ner-In­sti­tuts, Helm­holtz-Zen­trum für Po­lar- und Mee­res­for­schung (AWI). An­hand von Pro­ben von der Ex­pe­di­ti­on hat Er­st­au­to­rin Te­re­sa Mor­gan­ti, Schwamm-Ex­per­tin vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie in Bre­men, nun her­aus­ge­fun­den, wie sich die Schwäm­me an die nähr­stoff­ar­me Um­ge­bung an­pas­sen: „Wir zei­gen, dass die Schwäm­me mi­kro­bi­el­le Sym­bi­on­ten ha­ben, die al­tes or­ga­ni­sches Ma­te­ri­al ver­wer­ten kön­nen. So kön­nen sie sich von den Über­res­ten frü­he­rer, in­zwi­schen aus­ge­stor­be­ner Be­woh­ner der See­ber­ge er­näh­ren – zum Bei­spiel den Röh­ren von Wür­mern, die aus Ei­weiß und Chi­tin be­ste­hen, und an­de­ren dort hän­gen ge­blie­be­nen or­ga­ni­schen Res­ten.“

Das gro­ße Res­tees­sen

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Die dichten Schwammgründe, die auf dem nördlichen Langseth-Rücken entdeckt wurden, stellen ein erstaunlich reichhaltiges Ökosystem dar. Es zeigt, dass Schwämme und die mit ihnen verbundenen Mikroorganismen eine Vielzahl widerstandsfähiger Nahrungsquellen nutzen, darunter auch Überreste aus fossilen Tiefseequellen. (© Alfred-Wegener-Institut/PS101 AWI OFOS System)

Schwäm­me gel­ten als sehr ein­fa­che Tie­re. Den­noch sind sie in al­len Ozea­nen, von fla­chen tro­pi­schen Rif­fen bis hin zur ark­ti­schen Tief­see, er­folg­reich und zahl­reich ver­tre­ten. Vie­le Schwäm­me be­her­ber­gen als Sym­bi­on­ten eine kom­ple­xe Ge­mein­schaft von Mi­kro­or­ga­nis­men, die zur Ge­sund­heit und Er­näh­rung der Schwäm­me bei­trägt, in­dem sie An­ti­bio­ti­ka pro­du­ziert, Nähr­stof­fe trans­por­tiert und Aus­schei­dun­gen ent­sorgt. Dies gilt auch für die Geodia-Schwäm­me, wel­che die Ge­mein­schaft auf den ark­ti­schen See­ber­gen do­mi­nie­ren. Die Ein­heit aus Schwamm und as­so­zi­ier­ten Mi­kro­ben wird als Schwammho­lo­bi­ont be­zeich­net. Ge­mein­sam mit Anna De Kluij­ver von der Uni­ver­si­tät Ut­recht und dem La­bor von Ge­si­ne Mol­len­hau­er am AWI be­stimm­te Mor­gan­ti die Nah­rungs­quel­le, das Wachs­tum und das Al­ter der Schwäm­me. Sie fan­den her­aus, dass vor Tau­sen­den von Jah­ren Sub­stan­zen, die aus dem In­ne­ren des Mee­res­bo­dens si­cker­ten, ein üp­pi­ges Öko­sys­tem mit zahl­rei­chen Tie­ren un­ter­stütz­ten. Als sie aus­star­ben, blie­ben ihre Über­res­te zu­rück. Die­se bil­den nun die Grund­la­ge für die­se un­er­war­te­ten Schwamm­gär­ten.

Die Ana­ly­se der Mi­kro­or­ga­nis­men be­stä­tig­te die Hy­po­the­se der For­schen­den. „Die Mi­kro­ben ha­ben ge­nau den rich­ti­gen Werk­zeug­kas­ten für die­sen Le­bens­raum“, er­klärt Ute Hent­schel vom GEO­MAR Helm­holtz-Zen­trum für Oze­an­for­schung Kiel, die mit ih­rem Team die mi­kro­bio­lo­gi­schen Ana­ly­sen durch­ge­führt hat. „Sie ha­ben die Gene, um wi­der­stands­fä­hi­ge par­ti­ku­lä­re und ge­lös­te or­ga­ni­sche Stof­fe ab­zu­bau­en und die­se als Koh­len­stoff- und Stick­stoff­quel­le zu nut­zen, ne­ben ei­ner Rei­he che­mi­scher En­er­gie­quel­len, die dort zur Ver­fü­gung ste­hen.“

Das For­schungs­team zeig­te auch, dass die Schwäm­me das Öko­sys­tem mit­ge­stal­ten: Sie pro­du­zie­ren Na­deln (Spi­cu­lae), die eine Mat­te bil­den, auf der die Schwäm­me krie­chen. Die­se raue Mat­te er­leich­tert zu­sätz­lich die Ab­la­ge­rung von Par­ti­keln und bio­ge­nen Ma­te­ria­li­en. Die Ho­lo­bi­on­ten des Schwamms kön­nen die­se wie­der­um an­zap­fen und so ihre ei­ge­ne Nah­rungs­fal­le schaf­fen.

Schutz er­for­dert Ver­ständ­nis

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Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bremerhaven, Bremen und Kiel haben in der arktischen Tiefsee auf den Gipfeln erloschener Unterwasservulkane ein überraschend reiches und dicht besiedeltes Ökosystem entdeckt. Dieses ist von Schwämmen dominiert, die dort in großer Zahl und zu beeindruckender Größe wachsen.
(© Alfred-Wegener-Institut / PS101 AWI OFOS System)

Der Langseth-Rü­cken ist ein Un­ter­was­ser­ge­bir­ge in der Nähe des Nord­pols, wo das Meer stän­dig eis­be­deckt ist. Die Bio­mas­se der Schwäm­me dort ist ver­gleich­bar mit seich­te­ren Schwamm­grün­den, wo der Nähr­stof­f­e­in­trag viel hö­her ist. „Dies ist ein ein­zig­ar­ti­ges Öko­sys­tem. So et­was ha­ben wir in der ho­hen Zen­tralark­tis noch nie ge­se­hen. Die Bio­mas­se, die Al­gen in den obe­ren Was­ser­schich­ten im un­ter­such­ten Ge­biet pro­du­zie­ren, deckt we­ni­ger als ein Pro­zent des Koh­len­stoff­be­darfs der Schwäm­me. Die­ser Schwamm­gar­ten mag also ein Öko­sys­tem sein, das nur vor­über­ge­hend be­steht, aber er ist reich an Ar­ten und be­hei­ma­tet so­gar Weich­ko­ral­len“, sagt Ant­je Boe­ti­us. 

Die Ark­tis ist eine der Re­gio­nen, die am stärks­ten vom Kli­ma­wan­del be­trof­fen ist. „Vor un­se­rer Stu­die war kein ähn­li­cher Schwamm­gar­ten in der zen­tra­len Ark­tis be­kannt. Das Ge­biet ist bis­her noch nicht aus­rei­chend er­forscht, die Be­ob­ach­tung und Be­pro­bung sol­cher eis­be­deck­ten Tief­see-Öko­sys­te­me ist sehr auf­wän­dig“, be­tont Mor­gan­ti. Die enge Zu­sam­men­ar­beit von For­schen­den aus ver­schie­de­nen In­sti­tu­tio­nen, dar­un­ter das Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie, das AWI und das GEO­MAR, er­mög­lich­te ein um­fas­sen­des Ver­ständ­nis die­ses über­ra­schen­den Brenn­punkts des Le­bens in der kal­ten Tie­fe. „An­ge­sichts des schnel­len Rück­gangs der Mee­reis­be­de­ckung und der sich ver­än­dern­den Mee­res­um­welt ist es un­er­läss­lich, sol­che Hot­spot-Öko­sys­te­me bes­ser zu ver­ste­hen, um die ein­zig­ar­ti­ge Viel­falt der un­ter Druck ste­hen­den ark­ti­schen Mee­re zu schüt­zen und zu ver­wal­ten“, so Ant­je Boe­ti­us ab­schlie­ßend.

Druckbare Bilder und ein Video zum Down­load fin­den Sie hier: https://we.tl/t-faBe6NUwC3

Ori­gi­nal­ver­öf­fent­li­chung

M. Mor­gan­ti, B. M. Sla­by, A. De Kluij­ver, K. Busch, U. Hent­schel, J. J. Mid­del­burg, H. Gro­theer, G. Mol­len­hau­er, J. Dann­heim, H. T. Rapp, A. Purser & A. Boe­ti­us (2022): Gi­ant spon­ge grounds of Cen­tral Arc­tic se­a­m­ounts are as­so­cia­ted with extinct seep life. Na­tu­re Com­mu­ni­ca­ti­ons (2022).

DOI: 10.1038/s41467-022-28129-7

 

Be­tei­lig­te In­sti­tu­tio­nen

  • Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Celsiusstr. 1, 28359 Bremen, Deutschland
  • Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Am Handelshafen 12, 27570 Bremerhaven, Deutschland
  • GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Düsternbrooker Weg 20, 24105 Kiel, Deutschland
  • Universität Utrecht, Fakultät für Geowissenschaften, Princetonlaan 8a, 3584 CB Utrecht, Niederlande
  • Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Christian-Albrechts-Platz 4, 24118 Kiel, Deutschland
  • MARUM und Fachbereich Geowissenschaften, Universität Bremen, 28359 Bremen, Deutschland
  • Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität, Ammerländer Heerstraße 231, 26129 Oldenburg, Deutschland
  • Universität Bergen, Fachbereich Biologische Wissenschaften und K.G. Jebsen Centre for Deep-Sea Research, PO Box 7803, 5020 Bergen, Norwegen

Rück­fra­gen bit­te an:

Dr. Teresa Morganti

HGF MPG Brü­cken­grup­pe für Tief­see-Öko­lo­gie und -Tech­no­lo­gie

Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie, Cel­si­us­str. 1, D-28359 Bre­men

E-mail: tmorgant@mpi-bremen.de

Gruppenleiterin

HGF MPG Brückengruppe für Tiefsee-Ökologie und -Technologie

Prof. Dr. Antje Boetius

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

1337

Telefon: 

+49 421 2028-8600

Prof. Dr. Antje Boetius

Pressereferentin

Dr. Fanni Aspetsberger

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

1345

Telefon: 

+49 421 2028-9470

Dr. Fanni Aspetsberger
 
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