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Vie­le Kö­che ver­der­ben nicht den Brei: hohe Sym­bi­on­ten­viel­falt wapp­net den Wirt für alle Fäl­le

14.10.2019

Tiefseemuscheln, die sich mit Hilfe bakterieller Symbionten ernähren, beherbergen überraschend viele Untermieter: Bis zu 16 verschiedene Bakterienstämme wohnen in den Kiemen der Muschel, jeder mit eigenen Fähigkeiten und Stärken. Dank dieser Vielfalt an symbiotischen Partnerbakterien ist die Muschel für alle Eventualitäten gewappnet. Dabei schnürt sich die Muschel ein Rundum-Sorglos-Paket, berichtet nun in der Fach­zeit­schrift Na­tu­re Mi­cro­bio­lo­gy eine deutsch-österreichische For­scher­Innengrup­pe um Rebecca Ansorge und Nicole Dubilier vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen und Jillian Petersen von der Universität Wien.

 

Bathymodiolus-Muscheln und andere Bewohner der Hydrothermalquellen am Mittelatlantischen Rücken vor der Küste der Azoren. (© MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bre¬men)
Bathymodiolus-Muscheln und andere Bewohner der Hydrothermalquellen am Mittelatlantischen Rücken vor der Küste der Azoren. (© MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen)

Hei­ße Quel­len in der Tief­see sind fas­zi­nie­ren­de und reich­hal­ti­ge Le­bens­räu­me. In der schein­bar le­bens­feind­li­chen Um­welt ge­dei­hen bei­spiels­wei­se Mu­scheln, in­dem sie in ih­ren Kie­men Bak­te­ri­en als Un­ter­mie­ter be­her­ber­gen. Die­se Bak­te­ri­en, soge­nann­te che­mo­syn­the­ti­sche Sym­bi­on­ten, wan­deln für Tie­re nicht nutz­ba­re Stof­fe aus den hei­ßen Quel­len in schmack­haf­te Nah­rung für ih­ren Mu­schel-Wirt um. Da­bei schnürt sich die Mu­schel ein Rund­um-Sorg­los-Pa­ket, be­rich­tet nun in der Fach­zeit­schrift Nature Microbiology eine deutsch-ös­ter­rei­chi­sche For­scher­In­nen­grup­pe um Rebecca Ansorge vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie in Bre­men.

Auf meh­re­ren For­schungs­fahr­ten sam­mel­ten An­sor­ge und ihre Kol­le­gIn­nen an Schwar­zen Rau­chern – hoch auf­ra­gen­de Schlo­te, an de­nen hei­ßes, mi­ne­ral­rei­ches Was­ser aus dem Mee­res­grund strömt – Bathymodiolus-Mu­scheln, ent­fern­te Ver­wand­te der ess­ba­ren Mies­mu­schel. Im La­bor in Bre­men und Wien ana­ly­sier­ten sie dann im De­tail die Ge­no­me der bak­te­ri­el­len Be­woh­ner die­ser Mu­scheln. Bis­lang war man der Mei­nung, dass die Mu­schel nur ein oder zwei Ar­ten von Sym­bi­on­ten be­hei­ma­tet. Doch of­fen­sicht­lich ist Bathymodiolus deut­lich gast­freund­li­cher. „Tat­säch­lich fin­den wir in ei­ner ein­zi­gen Mu­schel bis zu 16 ver­schie­de­ne Bak­te­ri­en­stäm­me“, so An­sor­ge.

Viel­falt lohnt sich

Die ein­zel­nen Bak­te­ri­en­stäm­me sor­gen da­für, dass die Mu­schel für alle Even­tua­li­tä­ten ge­wapp­net ist. Denn sie er­fül­len je­weils ver­schie­de­ne Funk­tio­nen, hel­fen bei un­ter­schied­li­chen Stoff­um­set­zun­gen, ha­ben un­ter­schied­li­che Fä­hig­kei­ten. „Ver­schie­de­ne Sym­bi­on­ten kön­nen bei­spiels­wei­se un­ter­schied­li­che Stof­fe und En­er­gie­quel­len aus dem Um­ge­bungs­was­ser nut­zen und da­mit die Mu­scheln er­näh­ren“, er­klärt An­sor­ge. An­de­re wie­der­um sind be­son­ders wi­der­stands­fä­hig ge­gen Vi­ren oder Pa­ra­si­ten.

„Wir ver­mu­ten, dass die gro­ße Viel­falt ih­rer Un­ter­mie­ter die Mu­schel sehr wand­lungs­fä­hig macht“, fügt Jil­li­an Pe­ter­sen hin­zu, die Lei­te­rin des an der Stu­die be­tei­lig­ten La­bors der Uni­ver­si­tät Wien. Wenn sich ihre Um­welt ver­än­dert – was in ei­nem so dy­na­mi­schen Le­bens­raum wie ei­nem Schwar­zen Rau­cher häu­fig der Fall ist –, kann sich die Mu­schel schnell an­pas­sen. Jene Bak­te­ri­en­stäm­me, die un­ter den neu­en Be­din­gun­gen be­son­ders gut ge­wach­sen sind, tre­ten dann in den Vor­der­grund. Auch wenn die Mu­schel neue Le­bens­räu­me be­sie­deln möch­te, ist sie mit die­sem Mo­sa­ik an Sym­bi­on­ten gut vor­be­rei­tet. Die vie­len Kö­che ver­der­ben der Mu­schel also nicht den Brei, viel­mehr kann sie für je­den Fall ge­nau den rich­ti­gen Brei zu­be­rei­ten.

Rebecca Ansorge und Technikerin Silke Wetzel entnehmen Proben von Bathymodiolus-Muscheln, die der Tauchroboter ROV MARUM-QUEST gesammelt und an Bord gebracht hat. (© Christian Borowski)
Rebecca Ansorge und Technikerin Silke Wetzel entnehmen Proben von Bathymodiolus-Muscheln, die der Tauchroboter ROV MARUM-QUEST gesammelt und an Bord gebracht hat. (© Christian Borowski)

„Eine sol­che Viel­falt an Sym­bi­on­ten passt nicht zu gän­gi­gen Evo­lu­ti­ons­theo­ri­en, nach der so ähn­li­che Or­ga­nis­men wie die­se sym­bio­ti­schen Bak­te­ri­en nicht ne­ben­ein­an­der exis­tie­ren kön­nen“, er­klärt Ni­co­le Du­bi­lier, Pro­jekt­lei­te­rin der Stu­die und Di­rek­to­rin am Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie. Das liegt an ei­ner Be­son­der­heit der Tief­see­sym­bio­sen: Die Mu­schel er­nährt ihre Un­ter­mie­ter nicht di­rekt, son­dern sorgt nur da­für, dass sie nahe ih­rer Fut­ter­quel­le an den Schwar­zen Rau­chern le­ben. Ihre Nah­rung be­zie­hen die Sym­bi­on­ten dann aus dem Um­ge­bungs­was­ser. „Da­durch kann es sich die Mu­schel er­lau­ben, auch sol­che Kö­che zu be­her­ber­gen, die ge­ra­de nicht op­ti­mal ar­bei­ten. Man weiß ja nie, wann sie noch nütz­lich wer­den.“

Von Lu­cky Strike bis Lil­li­put

Lu­cky Strike, Lil­li­put, Cluel­ess, Se­me­nov, Wi­dea­wa­ke – so hei­ßen die Hydro­ther­mal­fel­der, an de­nen An­sor­ge und ihre Kol­le­gIn­nen die gast­freund­li­chen Tief­see­mu­scheln bis­her ge­fun­den ha­ben. Die­se Fel­der sind ver­teilt ent­lang des ge­sam­ten Mit­telat­lan­ti­schen Rü­ckens, von den Azo­ren bis weit in den Süd­at­lan­tik, Tau­sen­de Me­ter un­ter der Mee­res­ober­flä­che. An al­len un­ter­such­ten Stel­len fan­den die For­schen­den das glei­che Mus­ter ei­ner un­er­war­tet ho­hen Sym­bi­on­ten­viel­falt mit ge­ring­fü­gi­gen Un­ter­schie­den in den ein­zel­nen Fä­hig­kei­ten, die ver­mut­lich auf die je­wei­li­gen Be­din­gun­gen vor Ort ab­ge­stimmt sind.

„Als nächs­tes wol­len wir er­for­schen, ob die­se Viel­falt auch in an­de­ren Tief­see­sym­bio­sen exis­tiert, zum Bei­spiel in Schwäm­men oder an­de­ren Mu­scheln “, sagt An­sor­ge. „Auch, ob un­se­re Be­ob­ach­tun­gen ty­pisch für Sym­bio­sen sind oder auch in nah ver­wand­ten und sehr weit ver­brei­te­ten frei le­ben­den Bak­te­ri­en vor­kom­men, wol­len wir un­ter die Lupe neh­men.“ Die For­sche­rIn­nen er­war­ten, dass ihre hier vor­ge­stell­ten Er­geb­nis­se kei­ne Aus­nah­me dar­stel­len und eine sol­che Viel­falt bak­te­ri­el­ler Sym­bi­on­ten auch in an­de­ren ver­gleich­ba­ren Sys­te­men üb­lich ist. Das wür­de be­deu­ten, dass wir un­se­re ak­tu­el­len evo­lu­tio­nä­ren Theo­ri­en über sym­bio­ti­sche Be­zie­hun­gen über­ar­bei­ten müs­sen.

Ori­gi­nal­ver­öf­fent­li­chung:

Re­bec­ca An­sor­ge, Ste­fa­no Ro­ma­no, Liz­beth Sa­ya­ve­dra, Mi­guel Ángel Gon­zá­lez Por­ras, Anne Kup­c­zok, Ha­li­na E. Te­get­mey­er, Ni­co­le Du­bi­lier, Jil­li­an Pe­ter­sen: Func­tio­nal di­ver­si­ty enables mul­ti­ple sym­bi­ont strains to co­exist in deep-sea mus­sels. Na­tu­re Mi­cro­bio­lo­gy.

DOI: 10.1038/s41564-019-0572-9

Beteiligte Institute:

  • Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie, Bre­men

  • DOME, Uni­ver­si­tät Wien

  • MA­RUM, Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten, Uni­ver­si­tät Bre­men

  • Chris­ti­an-Al­brechts-Uni­ver­si­tät, Kiel

  • Cen­trum für Bio­tech­no­lo­gie, Uni­ver­si­tät Bie­le­feld

Von Bord des Schiffes steuern und verfolgen die Forschenden und die ROV-Piloten die Tauchfahrt des Tauchroboters ROV MARUM-QUEST zu den Hydrothermalquellen. (©Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie / P. Wendlinger)
Von Bord des Schiffes steuern und verfolgen die Forschenden und die ROV-Piloten die Tauchfahrt des Tauchroboters ROV MARUM-QUEST zu den Hydrothermalquellen. (©Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie / P. Wendlinger)

Be­hind the pa­per

Lesen Sie Rebecca Ansorges "Behind the paper":

Same same but different - Remarkable diversity behind identical 16S rRNA gene sequences

Co-exis­ting strains of in­tra­cel­lu­lar sym­bi­onts dif­fer ex­ten­si­ve­ly in their gene con­tent. Can this be an ad­van­ta­ge for their host?

Rück­fra­gen bit­te an:

Direktorin

Abteilung Symbiose

Prof. Dr. Nicole Dubilier

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

3241

Telefon: 

+49 421 2028-9320

Prof. Dr. Nicole Dubilier

Pressereferentin

Dr. Fanni Aspetsberger

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

1345

Telefon: 

+49 421 2028-9470

Dr. Fanni Aspetsberger

Ass. Prof. Dr. Jillian Petersen

Uni­ver­si­tät Wien

Te­le­fon: +43 1 4277-91206

Email: pe­ter­sen@mi­cro­bi­al-eco­lo­gy.net

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