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Zel­lu­lä­res Kraft­werk re­cy­celt In­dus­trie-Ab­ga­se

16.11.2020

Kohlenmonoxid ist ein hochgiftiges Gas. Menschen sterben innerhalb weniger Minuten, wenn sie es einatmen. Trotzdem gibt es Bakterien, die Kohlenmonoxid nicht nur widerstehen können, sie verwenden es sogar zum Atmen und zur Vermehrung. Erkenntnisse darüber, wie diese Bakterien überleben, öffnen ein Fenster in die Urzeiten der Erde und zur Entstehung des Lebens. Gleichzeitig könnten sie für die Zukunft sehr nützlich sein, da sie zur Reinigung von Abgasen und zur Herstellung von Biokraftstoffen verwendet werden können. In dem Zusammenhang haben zwei Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen nun eine überraschende Entdeckung gemacht.

Enzym-Kristalle, CODH/ACS (© Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie/T. Wagner)
Ohne Sauerstoff erhaltene CODH/ACS-Kristalle. Die braune Farbe stammt von den natürlichen Metallen, die die Proteine beinhalten (in der Grafik unten als orange und grüne Kugeln dargestellt). (© Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie/T. Wagner)

In den Ab­ga­sen vie­ler In­dus­trie­zwei­ge – zum Bei­spiel be­son­ders in Stahl­hüt­ten – ist jede Men­ge Koh­len­mon­oxid und Koh­len­di­oxid ent­hal­ten. Mo­men­tan wer­den die­se Gase vie­ler­orts noch ein­fach in die Luft ge­bla­sen, doch das kann sich bald än­dern. Die Idee ist, die Kraft von Bak­te­ri­en zu nut­zen, um schäd­li­che Ab­ga­se in wert­vol­le Ver­bin­dun­gen wie Ace­tat oder Etha­nol zu ver­wan­deln. Die­se kön­nen an­schlie­ßend als Bio­kraft­stof­fe oder Grund­stof­fe für syn­the­ti­sche Ma­te­ria­li­en ver­wen­det wer­den. Die ers­ten Ver­suchs­an­la­gen wer­den be­reits eva­lu­iert, um die­se Um­wand­lung im in­dus­tri­el­len Maß­stab zu nut­zen. Die Stars die­ses Pro­zes­ses sind Bak­te­ri­en wie Clostridium autoethanogenum, die Koh­len­mon­oxid, Koh­len­di­oxid und Was­ser­stoff fres­sen.

„Die wich­tigs­ten Funk­tio­nen des Stoff­wech­sels die­ser Bak­te­ri­en sind weit­ge­hend cha­rak­te­ri­siert“, sagt Tris­tan Wag­ner, Lei­ter der For­schungs­grup­pe Mi­kro­bi­el­le Me­ta­bo­lis­men des Max-Planck-In­sti­tuts in Bre­men. „Aber es gibt im­mer noch vie­le Fra­ge­zei­chen auf mo­le­ku­la­rer Ebe­ne.“ Und ge­nau die­se in­ter­es­sie­ren die Grund­la­gen­for­scher aus Bre­men. Ak­tu­ell gin­gen sie der Fra­ge nach: Wie wird das gif­ti­ge Koh­len­mon­oxid von En­zy­men mit so ver­blüf­fen­der Ef­fi­zi­enz ver­ar­bei­tet?

Kris­tal­li­sier­te Über­ra­schung

Das Wis­sen auf mo­le­ku­la­rer Ebe­ne über die Um­wand­lung von Koh­len­mon­oxid stamm­te bis­her vor­al­lem aus Stu­di­en, die an der Spe­zi­es Moorella thermoacetica durch­ge­führt wur­den. Dies ist ein ein­fa­cher und gut un­ter­such­ter ma­ri­ner Mo­dell­or­ga­nis­mus, der je­doch im Ge­gen­satz zu Clostridium autoethanogenum Ab­ga­se nur schlecht ent­gif­ten kann. Bei­de Bak­te­ri­en ver­wen­den aber das glei­che En­zym zur Um­wand­lung von Koh­len­mon­oxid: die CO-De­hy­dro­ge­na­se/​Ace­tyl-CoA-Syn­tha­se, ab­ge­kürzt CODH/​ACS. Es ist ein sehr häu­fi­ges En­zym, das be­reits in der Ur­zeit der Erde exis­tier­te. „Da bei­de Spe­zi­es das­sel­be En­zym zur Um­wand­lung von Koh­len­mon­oxid ver­wen­den, er­war­te­ten wir, ge­nau die­sel­be Struk­tur mit even­tu­ell ge­ring­fü­gi­gen Un­ter­schie­den zu se­hen“, sagt Wag­ner.

Für ihre For­schung un­ter­such­ten Wag­ner und sein Kol­le­ge Oli­vier N. Le­mai­re das Bak­te­ri­um Clostridium autoethanogenum, um zu ver­ste­hen, wie es ge­dei­hen kann, in­dem es ei­nen Stoff­wech­sel ähn­lich dem der ers­ten Le­bens­for­men nutzt. Oli­vier N. Le­mai­re züch­te­te die Bak­te­ri­en und rei­nig­te ihr En­zym CODH/​ACS in Ab­we­sen­heit von Sau­er­stoff, da die­ser für das En­zym schäd­lich ist. Die bei­den Wis­sen­schaft­ler ver­wen­de­ten die Kris­tal­li­sa­ti­ons­me­tho­de, um Kris­tal­le des En­zyms CODH/​ACS zu er­hal­ten und die 3D-Struk­tur des Pro­te­ins mit­tels Rönt­gen­kris­tal­lo­gra­phie zu be­stim­men. „Als wir die Er­geb­nis­se sa­hen, trau­ten wir un­se­ren Au­gen nicht“, sagt Wag­ner. „Die Schnitt­stel­le im En­zym zwi­schen CODH und ACS un­ter­schei­det sich bei Clostridium autoethanogenum dras­tisch vom Mo­dell von Moorella thermoacetica, ob­wohl es sich um das glei­che En­zym und ähn­li­che Bak­te­ri­en han­delt.“

Glei­che Zu­ta­ten, an­de­re Ar­chi­tek­tur

Im Fol­gen­den führ­ten die bei­den For­scher wei­te­re Ex­pe­ri­men­te durch, um zu be­wei­sen, dass die ent­deck­te Struk­tur kein Zu­falls­pro­dukt war. Die Er­geb­nis­se be­stä­tig­ten ihre Ent­de­ckung. Da­mit wi­der­le­gen die Wis­sen­schaft­ler ein­deu­tig die bis­he­ri­ge An­nah­me, dass das En­zym CODH/​ACS im­mer die glei­che Ge­samt­struk­tur hat. „Das En­zym von Moorella thermoacetica hat eine li­nea­re Form“, er­läu­tert Oli­vier N. Le­mai­re, Er­st­au­tor der Stu­die, die jetzt in der Fach­zeit­schrift BBA Bio­en­er­ge­tics er­schie­nen ist. „Bei Moorella thermoacetica pro­du­ziert das En­zym Koh­len­mon­oxid im CODH und ver­wen­det es im ACS. Zwi­schen ih­nen ist es ein­ge­schlos­sen und wird durch ei­nen dich­ten Gas­ka­nal ge­lei­tet. Im ACS wird dann Ace­tyl-CoA syn­the­ti­siert, ein Bau­stein, der zu Ace­tat und Etha­nol wei­ter­ver­ar­bei­tet wird. Der rest­li­che Teil der Zel­le kommt nie mit Koh­len­mon­oxid in Kon­takt.“

Clostridium autoethanogenum nimmt da­ge­gen di­rekt Koh­len­mon­oxid auf. „Das En­zym hat in Clostridium autoethanogenum nicht nur eine Öff­nung, son­dern gleich meh­re­re. Auf die­se Wei­se kann so viel Koh­len­mon­oxid wie mög­lich auf­ge­fan­gen und in ein gan­zes Sys­tem von Tun­neln ge­lei­tet wer­den, die in bei­de Rich­tun­gen ver­lau­fen“, sagt Le­mai­re. „Die­se Er­geb­nis­se zei­gen eine Um­bil­dung der in­ter­nen Gas­ka­nä­le wäh­rend der Evo­lu­ti­on die­ser Bak­te­ri­en. Ent­stan­den ist ein Kom­plex mit Gas­ka­nä­len in bei­de Rich­tun­gen, der die stän­di­ge Auf­nah­me von Koh­len­mon­oxid so­wie eine hohe Um­wand­lung des Ga­ses für die En­er­gie­er­hal­tung ge­währ­leis­tet. Das En­zym fun­giert so als wich­tigs­tes Zell­kraft­werk.“ Als End­pro­duk­te ent­ste­hen dann auch bei Clostridium autoethanogenum Aze­ta­te und Etha­nol, die zu Treib­stoff wei­ter­ver­ar­bei­tet wer­den kön­nen.

„Wir ha­ben jetzt eine Vor­stel­lung da­von, wie die­ses sehr ef­fi­zi­en­te und ro­bus­te En­zym aus­sieht“, sagt Tris­tan Wag­ner. „Aber un­se­re Ent­de­ckung ist nur ein wei­te­rer Schritt. Un­ter an­de­rem ist es im­mer noch eine of­fe­ne Fra­ge, wie das Bak­te­ri­um über­le­ben und Koh­len­mon­oxid nut­zen kann, um sei­nen ge­sam­ten zel­lu­lä­ren En­er­gie­be­darf zu de­cken. Wir ha­ben ei­ni­ge Hy­po­the­sen, ste­hen aber noch am An­fang. Um den ge­sam­ten che­mi­schen Pro­zess der Um­wand­lung von Koh­len­mon­oxid in Ace­tat und Etha­nol zu ver­ste­hen, müs­sen wei­te­re Pro­te­ine un­ter­sucht wer­den.“  

Bidirektionalität des CODH/ACS-Komplexes von C. autoethanogenum (© Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, T. Wagner und O. Lemaire)
Diese Grafik zeigt die Bidirektionalität des CODH/ACS-Komplexes von C. autoethanogenum (CODH in orange und ACS in violett). Unter chemolithoautotrophen Bedingungen kann das Enzym Kohlendioxid (CO2) in Kohlenmonoxid (CO) umwandeln, das in einem Gaskanal sequestriert wird (oben). Das Kohlenmonoxid wird in Acetyl-CoA umgewandelt, den Baustein der Zelle, der zur Gewinnung von Zellenergie und zum Aufbau des Zellmaterials dient. Während des Gasumwandlungsprozesses kann das durch die Industrie freigesetzte Kohlenmonoxid durch CODH/ACS sehr effizient genutzt werden (unten). Das Gas wird durch zahlreiche Gaskänale eingesammelt und erzeugt gleichzeitig Acetyl-CoA und chemische Energie, so dass die Zelle Kohlenmonoxid zum Leben nutzen kann. (© Grafik: O. Lemaire, T. Wagner, verwendete Fotos: Nicht urheberrechtlich geschütztes Material der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) und der Pexel-Fotobibliothek. Black Smoker: Bild mit freundlicher Genehmigung des NOAA Office of Ocean Exploration and Research, 2016 Deepwater Exploration of the Marianas; Werksfotografie von Chris LeBoutillier)

Ori­gi­nal­ver­öf­fent­li­chung

Oli­vier N. Le­mai­re and Tris­tan Wag­ner: Gas channel rerouting in a primordial enzyme: Structural insights of the carbon-monoxide dehydrogenase/acetyl-CoA synthase complex from the acetogen Clostridium autoethanogenum. BBA – Bio­en­er­ge­tics, 2020

DOI: 10.1016/j.bbabio.2020.148330

Rück­fra­gen bit­te an:

Gruppenleiter

Dr. Tristan Wagner

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Telefon: 

+49 421 2028-7440

Dr. Tristan Wagner
 
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