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Zombiezellen im Ozean: Viren halten die häufigsten Meeresbakterien in Schach

17.05.2024

Mikroorganismen steuern die für das Leben in den Ozeanen wichtigen Stoff- und Energiekreisläufe. Dazu gehört auch eine Gruppe von Bakterien namens SAR11, die etwa ein Drittel aller Bakterien im Oberflächenwasser der Meere stellen. Eine Studie von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen zeigt nun, dass zeitweise fast 20% der SAR11-Zellen von Viren befallen sind, was ihre Gesamtzahl deutlich verringert. Die Viren verwandeln die eigentlich gut gedeihenden Bakterien manchmal sogar in Zombies. Diese Zombiezellen wurden hier erstmals beobachtet und sind in den Ozeanen weit verbreitet.

Sonnenuntergang
Sonnenuntergang über der Insel Helgoland in der Deutschen Bucht, wo die Forschenden des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie ihre Proben genommen haben. © Jan Brüwer/Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

Das Meer rund um die Insel Helgoland ist ein idealer Ort, um die Frühlingsblüten von Algen im Ozean zu erforschen. Schon seit vielen Jahren widmen sich Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen diesem Thema. Dabei bemerkten sie, dass sich eine Gruppe von Bakterien namens SAR11 während dieser Blüten besonders schnell vermehrt. Trotzdem nahm ihre Zellzahl ab, um etwa 90% innerhalb von fünf Tagen. Vermutlich wurden die Zellen von Fressfeinden oder durch Infektionen mit Viren dezimiert. Nun haben die Max-Planck-Forschenden dieses Phänomen nochmal ganz genau unter die Lupe genommen.

Auf der Suche nach den Viren von SAR11

“Wir wollten herausfinden, ob die geringen Zellzahlen von SAR11 durch Phagen verursacht wurden – das sind Viren, die gezielt Bakterien infizieren”, sagt Jan Brüwer, der die Studie im Rahmen seiner Doktorarbeit durchgeführt hat. „Die Beantwortung dieser scheinbar einfachen Frage war methodisch sehr anspruchsvoll“.

Wie funktioniert eine Infektion mit Phagen? Phagen infizieren Bakterien, indem sie ihnen ihr eigenes Genmaterial einschleusen. Dort wird es vervielfältigt und nutzt die bakteriellen Ribosome, um die selbst benötigten Proteine herzustellen. Die Bremer Forschenden nutzen eine Technologie, mit der sie das Genmaterial der Phagen in den Bakterien „verfolgen“ konnten. “Wir können die Phagengene anfärben und sie dann unter dem Mikroskop sehen. Da wir gleichzeitig auch die Gene von SAR11 färben können, können wir phageninfizierte Zellen erkennen“, erklärt Brüwer.

Das klingt einfach, ist es aber nicht. Denn die geringe Helligkeit und Größe der Phagengene macht es für die Forschenden sehr schwer, sie zu entdecken. Dennoch konnten sie Tausende von Bildern aus dem Mikroskop erfolgreich analysieren, und kamen so zu einigen spannenden Erkenntnissen.

“Wir sahen, dass die SAR11 Bakterien einem massiven Angriff durch Phagen ausgesetzt sind”, berichtet Brüwer. “In Phasen schenllen Wachstums, wie beispielsweise während Frühjahrsblüten, sind beinahe 20% der Zellen infiziert. Das erklärt, warum wir so wenige Zellen finden. Phagen sind also das fehlende Glied, das dieses Rätsel aufklärt!”

Zombie-Zellen: Ein globales Phänomen

Die Bilder enthüllten zur Überraschung der Forschenden aber noch mehr. „Wir entdeckten, dass einige der phageninfizierten SAR11-Zellen keine Ribosomen mehr enthielten. Diese Zellen befinden sich wahrscheinlich in einem Übergangszustand zwischen Leben und Tod, weshalb wir sie 'Zombie-Zellen' genannt haben“, so Brüwer.

Zombie-Zellen sind ein bisher unbekanntes Phänomen, das die Forschenden nicht nur in Laborkulturen von SAR11 sondern auch in Proben, die vor Helgoland gesammelt worden waren, fanden. Zudem analysierten sie auch Proben aus dem Atlantik, dem Südpolarmeer und dem Pazifik, und auch dort fanden sie Zombie-Zellen. Diese Zombies scheint es also weltweit zu geben.

“In unserer Studie sind bis zu 10% aller Zellen im Meer Zombie-Zellen. Die weltweite Verbreitung der Zombies erweitert unser Verständnis des viralen Infektionszyklus“, betont Brüwer. „Wir vermuten, dass in Zombie-Zellen die in den Ribosomen enthaltenen Nukleinsäuren abgebaut und wiederverwertet werden, um neue Phagen-DNA herzustellen.“

zombie cells
Unter dem Mikroskop erkannten die Wissenschaftler SAR11-Zombie-Zellen daran, dass sie keine Ribosomen haben. Ein Beispiel für den Vergleich einer lebenden, infizierten SAR11-Zelle mit einer infizierten Zombie-Zelle: Blau zeigt die bakteriellen Gene, gelb die Ribosomen und lila die Phagengene. Die lebende Zelle (obere Bilder) zeigt alle drei Farben, während der Zombie-Zelle (untere Bilder) das gelbe Ribosomensignal fehlt. In der letzten Spalte auf der rechten Seite werden diese Farben zusammengeführt, wodurch sich die beiden Zelltypen deutlich voneinander unterscheiden lassen. © Jan Brüwer/ Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie.

Brüwer und seine Kolleginnen und Kollegen vermuten, dass nicht nur SAR11-Bakterien, sondern auch andere Bakterien in Zombies verwandelt werden können. Daher wollen sie die Verteilung von Zombie-Zellen und ihre Rolle für die Viren nun weiter untersuchen.

„Unsere Ergebnisse beweisen, dass die SAR11-Population, obwohl sie so schnell wächst, massiv von Phagen kontrolliert und reguliert wird“, sagt Brüwer. „SAR11 ist sehr wichtig für die globalen biogeochemischen Kreisläufe, einschließlich des Kohlenstoffkreislaufs, daher muss ihre Rolle im Ozean neu definiert werden. Unsere Arbeit unterstreicht die Rolle der Phagen und die Bedeutung der mikrobiellen Interaktionen im Lebensraum Meer“.

Originalveröffentlichung

Brüwer, J.D., Sidhu, C., Zhao, Y. Eich, A., Rössler, L., Orellana, L.H., Fuchs, B.M (2024). Globally occurring pelagiphage infections create ribosome-deprived cells, Nat Commun (02 May 2024).

DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-024-48172-w

Beteiligte Institutionen

  • Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Celsiusstraße 1, 28359 Bremen, Deutschland
  • College of Juncao Science and Ecology, Fujian Agriculture and Forestry University, Fuzhou, China
  • PSL Research University, Moorea, Französisch-Polynesien

Rückfragen bitte an:

Abteilung Molekulare Ökologie

Jan Brüwer

MPI für Marine Mikrobiologie
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Jan Brüwer

Gruppenleiter 

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PD Dr. Bernhard Fuchs

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Dr. Fanni Aspetsberger
 
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