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26.04.2010 Lach­gas und Stick­oxid aus dem Mund

Zu­sam­men mit ame­ri­ka­ni­schen und bel­gi­schen Kol­le­gen fand ein Team vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie her­aus, dass Bak­te­ri­en im mensch­li­chen Zahn­be­lag mit Ni­trat an­stel­le von Sau­er­stoff at­men kön­nen und da­bei auch Lach­gas und Stick­oxid frei­set­zen.
 
Lachgas und Stickoxid aus dem Mund -
Bakterielle Nitratatmung im menschlichen Zahnbelag

Zu­sam­men mit ame­ri­ka­ni­schen und bel­gi­schen Kol­le­gen fand ein Team vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie her­aus, dass Bak­te­ri­en im mensch­li­chen Zahn­be­lag mit Ni­trat an­stel­le von Sau­er­stoff at­men kön­nen und da­bei auch Lach­gas und Stick­oxid frei­set­zen. Bei die­sem De­ni­tri­fi­ka­ti­on ge­nann­ten Pro­zess dient ein Salz, das Ni­trat, be­stimm­ten Bak­te­ri­en als Oxi­da­ti­ons­mit­tel bei der At­mung, und über­nimmt da­mit die glei­che Funk­ti­on wie der Sau­er­stoff beim Men­schen. De­ni­tri­fi­ka­ti­on ist für Mee­re, Seen und Flüs­se be­reits sehr gut un­ter­sucht und konn­te nun erst­mals für den mensch­li­chen Zahn­be­lag nach­ge­wie­sen wer­den.

Aus­schlag­ge­bend ist ni­tratrei­che Nah­rung, wie Blatt­sa­la­te oder Rote-Bee­te-Saft, die im Spei­chel zu ex­trem ho­hen Kon­zen­tra­tio­nen an Ni­trat führt, wel­ches dann von den ni­tratat­men­den Bak­te­ri­en im Zahn­be­lag um­ge­setzt wird. Da­bei ent­ste­hen gas­för­mi­ge Stoff­wech­sel­pro­duk­te wie Stick­oxid, Lach­gas und Stick­stoff. Dass Zahn­be­lag zu Ka­ri­es und Zahn­flei­schent­zün­dun­gen füh­ren kann, ist nichts Neu­es. Die ak­tu­el­le Ver­öf­fent­li­chung lässt nun wei­ter­hin ver­mu­ten, dass es ei­nen Zu­sam­men­hang zwi­schen die­sen Er­kran­kun­gen und den bak­te­ri­el­len Stick­stoff­um­set­zun­gen im Zahn­be­lag gibt. Stick­oxid ist ein be­kann­tes Si­gnal-Mo­le­kül im mensch­li­chen Kör­per, wel­ches viel­leicht auch für die Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen den Pro­zes­sen im Zahn­be­lag und im Zahn­fleisch ver­ant­wort­lich ist. "Die Men­gen an Stick­oxid sind phy­sio­lo­gisch re­le­vant. Es ist be­kannt, dass Stick­oxid die Blut­ge­fä­ße er­wei­tert, so den Blut­druck senkt und zu­dem als Si­gnal­stoff im Ner­ven -und Im­mun­sys­tem dient", sagt Dr. Frank Schrei­ber, der An­sprech­part­ner der Stu­die. "Ob das bei der De­ni­tri­fi­ka­ti­on pro­du­zier­te Lach­gas die Stim­mung er­hel­len kann, ist al­ler­dings eher frag­lich", er­gänzt Dr. Pe­ter Stief, der eben­falls an die­ser Stu­die mit­ge­ar­bei­tet hat. Tat­säch­lich ist die Men­ge des ge­bil­de­ten Lach­ga­ses zu ge­ring, um be­kann­te phy­sio­lo­gi­sche Funk­tio­nen, wie z.B. Be­täu­bung her­vor­zu­ru­fen. So be­nutz­ten Zahn­ärz­te in frü­he­ren Zei­ten deut­lich hö­he­re Men­gen, um ihre Pa­ti­en­ten zu nar­ko­ti­sie­ren, als im Zahn­be­lag ge­bil­det wird.
Abb. 1: Schema für die Umwandlung von im Speichel enthaltenem Nitrat (NO<sub>3</sub><sup>-</sup>) in Stickoxid (NO) und Lachgas (N<sub>2</sub>O) durch Denitrifikation im Zahnbelag. Die gasförmigen Produkte Stickoxid und Lachgas werden dabei in die Atemluft freigesetzt. Die durch Denitrifikation gebildeten Mengen an Stickoxid sind so hoch, dass sie potentiell auf die im Gaumen befindlichen Immun-, Nerven- und Blutgefäßzellen wirken können.
Me­di­zi­ner wis­sen schon lan­ge, dass der mensch­li­che Kör­per von ei­ner Viel­zahl von Mi­kro­or­ga­nis­men be­sie­delt ist. In­ten­si­ve Stu­di­en über de­ren tat­säch­li­che Stoff­wech­sel­ak­ti­vi­tät in­ner­halb ih­res na­tür­li­chen Le­bens­rau­mes sind je­doch sel­ten. Viel­mehr ha­ben Me­di­zi­ner tra­di­tio­nell ver­sucht, be­stimm­te Krank­heits­er­re­ger zu iso­lie­ren, um sie dann un­ter künst­li­chen La­bor­be­din­gun­gen zu er­for­schen. Im Ge­gen­satz dazu sieht die Stra­te­gie der Mee­res­for­scher vom Bre­mer Max-Planck-In­sti­tut vor, Mess­me­tho­den zu ent­wi­ckeln, mit de­nen sie di­rekt im Mee­res­bo­den bak­te­ri­el­le Stoff­wech­sel­pro­zes­se ver­fol­gen kön­nen. Auf­merk­sam ge­wor­den auf die­se Tech­ni­ken ist der US-Mi­kro­bio­lo­ge Prof. Paul Stood­ley aus Pitts­burgh, der sich seit Jah­ren mit me­di­zi­nisch re­le­van­ten Bak­te­ri­en be­schäf­tigt. Fas­zi­niert von den Bre­mer Me­tho­den hat Stood­ley den Meers­for­schern eine in­ter­dis­zi­pli­nä­re Ko­ope­ra­ti­on an­ge­bo­ten, um zu un­ter­su­chen, ob im mensch­li­chen Zahn­be­lag ähn­li­che Pro­zes­se wie im Mee­res­bo­den ab­lau­fen. Die Bre­mer Wis­sen­schaft­ler ver­wen­de­ten hier­zu eine Kom­bi­na­ti­on aus Mi­kro­sen­sor­mes­sun­gen, Ana­ly­sen mit sta­bi­len Stick­stof­f­iso­to­pen und mo­le­ku­la­ren Me­tho­den zur Er­fas­sung der für die De­ni­tri­fi­ka­ti­on ver­ant­wort­li­chen Gene.





Abb. 2: Einblick in die Methode, mit der Stickoxid im Zahnbelag des Menschen gemessen wurde. Von oben nähert sich die Spitze eines elektrochemischen Stickoxid-Mikrosensors der intakten Zahnbelagsprobe, die unmittelbar vorher aus dem Mund entnommen wurde. Die nur 0.05 mm dünne Spitze des Sensors ist mit einer gasdurchlässigen Membran ausgestattet, durch die das gasförmige Stickoxid in den Sensor eindringen und somit gemessen werden kann.
Frank Schrei­ber, der für die­se Stu­die "ganz im Sin­ne der For­schung" auch schon mal auf das Zäh­ne­put­zen ver­zich­tet hat, ist über­zeugt: "Die Un­ter­su­chung der im Men­schen vor­kom­men­den Bak­te­ri­en­ge­mein­schaf­ten in ih­rer na­tür­li­chen Zu­sam­men­set­zung stellt eine wich­ti­ge Er­gän­zung zur Un­ter­su­chung von ein­zel­nen Bak­te­ri­en dar. Die Ak­ti­vi­tät ei­ner Bak­te­ri­en­ge­mein­schaft ist oft weit­aus viel­fäl­ti­ger, als man es mit dem Wis­sen über die Ak­ti­vi­tät ein­zel­ner in ihr ent­hal­te­ner Bak­te­ri­en­ar­ten vor­her­sa­gen wür­de". Die mo­der­ne Wis­sen­schaft be­greift den mensch­li­chen Kör­per im­mer mehr auch als na­tür­li­chen Le­bens­raum für Mi­kro­or­ga­nis­men, der in ver­schie­dens­ten Kör­per­tei­len be­son­de­re öko­lo­gi­sche Ni­schen für Bak­te­ri­en be­reit­hält. So lau­fen der­zeit meh­re­re in­ter­na­tio­na­le Groß­pro­jek­te zur Ent­zif­fe­rung des bak­te­ri­el­len Me­ta­ge­noms (Hu­man Mi­cro­bio­me) der mensch­li­chen Mund­höh­le, der Va­gi­na, der Haut und des Darms, nicht nur um Er­kran­kun­gen bes­ser be­han­deln und de­ren Ur­sa­chen ver­ste­hen zu kön­nen, son­dern auch um das na­tür­li­che, ge­sund­heits­för­dern­de Zu­sam­men­le­ben von Mensch und Mi­kro­be bes­ser zu ver­ste­hen.


Anja Kamp und Manfred Schlösser


Rückfragen an:
Dr. Frank Schrei­ber, Tel.: 0421 2028 834; fschreib@mpi-bre­men.de

oder an die Pressesprecher:
Dr. Man­fred Schlös­ser, 0421 2028 704; mschloes@mpi-bre­men.de
Dr. Anja Kamp, Tel.: 0421 2028 704; akamp@mpi-bre­men.de

Originalartikel:
F. Schrei­ber, P. Stief, A. Gie­se­ke, I.M. Heis­ter­kamp, W. Ver­strae­te, D. de Beer, and P. Stood­ley. 2010. De­ni­tri­fi­ca­ti­on in hu­man den­tal plaque. BMC Bio­lo­gy, 8:24
http://www.biomedcentral.com/1741-7007/8/24

Beteiligte Institute:
Mi­cro­sen­sor Re­se­arch Group, Max Planck In­sti­tu­te for Ma­ri­ne Mi­cro­bio­lo­gy, Cel­si­us­stras­se 1, 28359 Bre­men, Ger­ma­ny

La­bo­ra­to­ry of Mi­cro­bi­al Eco­lo­gy and Tech­no­lo­gy (Lab­MET), Ghent Uni­ver­si­ty, Ghent, Bel­gi­um

Cen­ter for Ge­no­mic Sci­en­ces, Al­leg­he­ny Ge­ne­ral Hos­pi­tal/​Al­leg­he­ny-Sin­ger Re­se­arch In­sti­tu­te, Pitts­burgh, PA, USA

Na­tio­nal Cent­re for Ad­van­ced Tri­bo­lo­gy at Sout­hamp­ton (nCATS), School of En­gi­nee­ring Sci­en­ces, Uni­ver­si­ty of Sout­hamp­ton, Sout­hamp­ton, UK
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