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Räu­be­ri­sche Bak­te­ri­en

23.03.2022
Auch Mi­kro­ben wer­den krank: In tie­fen Se­di­men­ten wer­den sie Op­fer win­zi­ger Bak­te­ri­en.

Winzige, räuberische Bakterien fallen über Mikroorganismen her. Diese Ultramikrobakterien sind beispielsweise in Kläranlagen und im Meeresboden weit verbreitet. Das zeigen Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen, ihre Ergebnisse stellen sie jetzt in der Zeitschrift Ap­p­lied and En­vi­ron­men­tal Mi­cro­bio­lo­gy vor.

 

Den meis­ten Men­schen sind Mi­kro­ben eher als Krank­ma­cher und nicht als Op­fer von In­fek­tio­nen be­kannt. Doch tat­säch­lich kön­nen auch sie Op­fer von Bak­te­ri­en wer­den, die sie krank ma­chen und so­gar fres­sen. Ein sol­ches räu­be­ri­sches Bak­te­ri­um be­schreibt nun der Bre­mer For­scher Jens Harder mit seinem Team vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie.

Der Täter: Lange undercover

Seit über zwan­zig Jah­ren le­ben die räu­be­ri­schen Bak­te­ri­en schon weit­ge­hend un­be­merkt im La­bor von Jens Har­der am Bre­mer Max-Planck-In­sti­tut in ei­ner so­ge­nann­ten An­rei­che­rungs­kul­tur. Sie le­ben da­von, Li­mo­nen – den Duft­stoff von Oran­gen – zu Me­than um­zu­wan­deln. Die Bak­te­ri­en stam­men ur­sprüng­lich aus dem Faul­turm der Klär­an­la­ge in Os­ter­holz-Scharm­beck. „Wir ha­ben die neue Mi­kro­be Velamenicoccus archaeovorus ge­nannt”, so Har­der. „Es han­delt sich da­bei um ein Ul­tra­mi­kro­bak­te­ri­um – also ei­nen be­son­ders win­zi­gen Ver­tre­ter aus der Welt der Mi­kro­ben, der nur 200 bis 300 Na­no­me­ter groß und da­mit im nor­ma­len Mi­kro­skop un­sicht­bar ist.“ Zum Ver­gleich: Ein Mensch ist fast zwei Mil­li­ar­den Na­no­me­ter groß. Ein paar Ge­heim­nis­se die­ser win­zi­gen Bak­te­ri­en konn­ten nun ge­lüf­tet wer­den.

Das Opfer: Wichtig für die Biogasherstellung

Auch die zwei­te Haupt­per­son die­ser Ge­schich­te, das Op­fer, fin­den wir in Klär­an­la­gen: Methanosaeta, eine der häu­figs­ten Mi­kro­ben der Welt, spielt dort eine ent­schei­den­de Rol­le. Die­se Ar­chaee ist in Klär­an­la­gen haupt­säch­lich für die Bio­gas­her­stel­lung ver­ant­wort­lich. Zel­len von Methanosaeta le­ben an­ein­an­der­ge­reiht in ei­nem schüt­zen­den Schlauch, ei­nem Fil­ament. Har­der und sein Team konn­ten nun in Un­ter­su­chun­gen mit be­son­de­ren Farb­stof­fen und ei­nem Spe­zi­al­mi­kro­skop nach­wei­sen, dass ein­zel­ne Zel­len in den Methanosaeta-Fil­amen­ten krank oder tot wa­ren. Sie wa­ren er­schlafft und ent­hiel­ten we­der ri­bo­so­ma­le Nu­kle­in­säu­ren noch Erb­gut – ty­pi­sche Be­stand­tei­le le­ben­der Mi­kro­ben­zel­len. Die Zel­len wa­ren ver­mut­lich den Ul­tra­mi­kro­bak­te­ri­en zum Op­fer ge­fal­len: „Die Krank­heits­ver­ur­sa­cher sind al­ler Wahr­schein­lich­keit nach an­haf­ten­de Bak­te­ri­en, und die­se an­haf­ten­den Bak­te­ri­en sind Velamenicoccus archaeovorus-Zel­len“, er­klärt Har­der.

 

Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen von Methanosaeta
Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen von Methanosaeta, einer filamentösen methanogenen Archaee. Die einzelnen Aufnahmen zeigen jeweils die gleichen Zellen in verschiedenen Färbungen. Grün: Anfärbung von ribosomaler Ribonukleinsäure in den Zellen. Blau: Anfärbung des Erbguts. Rot: Anfärbung von Lipiden und den Trennwänden zwischen einzelnen Zellen von Methanosaeta. Das oberste Bild identifiziert in der Überlagerung aller Farben kranke und abgestorbene Zellen. (© Gerrit Alexander Martens und Jens Harder/Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie)

Die Tatwaffe? Ein riesiges Eiweiß

Velamenicoccus archaeovorus ist kei­ne Un­be­kann­te“, so Har­der wei­ter. „Wir ken­nen Tei­le des Erb­guts aus tie­fen Se­di­men­ten und an­de­ren sau­er­stoff­frei­en Le­bens­räu­men. Was sie da tut, war aber bis­lang nicht be­kannt.“ Nun konn­ten die For­schen­den des Max-Planck-In­sti­tuts für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie das Erb­gut die­ses Ul­tra­mi­kro­bak­te­ri­ums ent­schlüs­seln und sei­ne Ei­wei­ße iden­ti­fi­zie­ren und da­durch ei­ni­ge Ge­heim­nis­se des win­zi­gen Räu­bers lüf­ten. Be­son­ders be­mer­kens­wert ist ein auf­fal­lend gro­ßes Gen. „Wäh­rend Pro­te­ine, wie wir die Ei­wei­ße wis­sen­schaft­lich nen­nen, durch­schnitt­lich aus 333 Ami­no­säu­ren be­ste­hen, ko­diert die­ses Gen ein Pro­te­in mit 39678 Ami­no­säu­ren“, er­klärt Har­der. Da­mit wäre es ei­nes der größ­ten be­kann­ten Pro­te­ine. Es wird in die Zell­wand ein­ge­baut und ent­hält auf sei­ner Ober­flä­che Pro­te­in­be­rei­che mit En­zym­funk­tio­nen, die ihm die Auf­lö­sung von Zel­len er­mög­li­chen. Hier liegt also ver­mut­lich das töd­li­che Ge­heim­nis von Velamenicoccus.

Ökologisch bedeutsam in tiefen Sedimenten?

Die Er­kennt­nis, dass wir es hier mit ei­nem so „ge­fähr­li­chen“ Bak­te­ri­um zu tun ha­ben, er­laubt auch ei­nen neu­en Blick auf eine öko­lo­gi­sche Fra­ge: Se­di­men­te ste­cken vol­ler Mi­kro­or­ga­nis­men, aber ihre Zahl nimmt mit zu­neh­men­der Tie­fe ab. Je tie­fer man kommt, des­to we­ni­ger Zel­len fin­det man. Bis­lang ver­mu­te­te man, dass fort­schrei­ten­des Ab­ster­ben von Zel­len die Ur­sa­che ist. Nun er­öff­net sich eine an­de­re Mög­lich­keit: Mi­kro­or­ga­nis­men nut­zen an­de­re Mi­kro­or­ga­nis­men als Nah­rungs­quel­le, und weil das nicht be­son­ders ef­fi­zi­ent ist, geht das or­ga­ni­sche Ma­te­ri­al zu­se­hends als Koh­len­di­oxid und Me­than ver­lo­ren. „Ul­tra­mi­kro­bak­te­ri­en spie­len dem­nach in Se­di­men­ten eine ent­schei­den­de Rol­le bei der Um­set­zung und Wie­der­ver­wer­tung von Bio­mas­se und be­wir­ken ins­ge­samt eine Ver­rin­ge­rung der Bio­mas­se mit der Tie­fe“, schließt Har­der.

Übri­gens: Velamenicoccus archaeovorus, die ar­chae­en­fres­sen­de Mi­kro­be, ge­hört zum Stamm der Omnitrophica – auf Deutsch der Al­les­fres­ser. Die Er­kennt­nis, dass sie als Räu­ber le­ben, zeigt jetzt erst­mals, dass die­se Be­zeich­nung wirk­lich zu­tref­fend ist.

Elektronenmikroskopische Aufnahme der Anreicherungskultur aus der Kläranlage.
Elektronenmikroskopische Aufnahme der Anreicherungskultur aus der Kläranlage. Ein Methanosaeta-Filament enthält einzelne Zellen in einer Hülle, voneinander durch eine Trennwand isoliert (A). Die feste Zellwand zwischen den einzelnen Zellen des Filaments schützt diese vor den Gefahren der Umwelt und vor kranken Nachbarzellen. Einige Zellen des Filaments sind durch Velamenicoccus archaeovorus zerstört (B, C). Velamenicoccus heißt auf deutsch „umhüllte runde Zelle“ (D). (© Erhard Rhiel und Jens Harder/Institut für Chemie und Biologie des Meeres und Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie)

Ori­gi­nal­ver­öf­fent­li­chung

Jana Ki­zi­na, Se­bas­ti­an F. A. Jor­dan, Ger­rit Alex­an­der Mar­tens, Al­mud Lon­sing, Chris­ti­na Pro­bi­an, An­dro­ni­ki Ko­lo­vou, Ra­chel Sant­arel­la-Mell­wig, Er­hard Rhiel, Sten Litt­mann, Ste­pha­nie Mar­kert, Kurt Stüber, Mi­cha­el Rich­ter, Tho­mas Schwe­der & Jens Har­der (2022): Methanosaeta and Candidatus Ve­l­ame­ni­coc­cus ar­chaeo­vo­rus. Ap­p­lied and En­vi­ron­men­tal Mi­cro­bio­lo­gy (on­line vor­ab 21.03.2022).

DOI: 10.1128/aem.02407-21

Be­tei­lig­te In­sti­tu­tio­nen

Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie, Bre­men, Deutsch­land

Elec­tron Mi­cro­sco­py Core Fa­ci­li­ty, EMBL Hei­del­berg, Hei­del­berg, Deutsch­land

In­sti­tut für Che­mie und Bio­lo­gie des Mee­res, Carl von Os­sietz­ky Uni­ver­si­tät Ol­den­burg, Ol­den­burg, Deutsch­land

Ab­tei­lung für Phar­ma­zeu­ti­sche Bio­tech­no­lo­gie, In­sti­tut für Phar­ma­zie, Uni­ver­si­tät Greifs­wald, Deutsch­land

Max Planck Ge­no­me cent­re Co­lo­gne, Köln, Deutsch­land

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Projektleiter

Abteilung Molekulare Ökologie

Prof. Dr. Jens Harder

MPI für Marine Mikrobiologie
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D-28359 Bremen

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2125

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Dr. Fanni Aspetsberger

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
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