Seitenpfad:

Sym­bi­on­ten ohne Gren­zen: Bak­te­ri­el­le Un­ter­mie­ter be­rei­sen die Welt

12.07.2021
Sym­bio­ti­sche Bak­te­ri­en, die in den Kie­men von Mond­mu­scheln le­ben, sind ech­te Kos­mo­po­li­ten.
Bre­men

Dieses Jahr der Pandemie hat uns an unser Zuhause gebunden und daran gehindert, die Welt zu bereisen und Freunde zu treffen. Einige winzige Bakterien im Ozean hatten keine solchen Probleme: Weltweit tun sie sich mit Muscheln aus der Familie der Mondmuscheln zusammen, die unbemerkt im Sand unter blau schimmernden Küstengewässern leben. Diese Partnerschaft ermöglicht den Muscheln eine weltweite Verbreitung. Aber auch die Bakterien kommen weit herum. Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen und der Universität Wien zeigen nun im Fachjournal PNAS, dass die bakteriellen Symbionten, die in den Kiemen der Muscheln leben, ohne Grenzen um die Welt reisen können.

Mondmuscheln sind die artenreichste und am weitesten verbreitete Familie von Meeresmuscheln, die bakterielle Endosymbionten beherbergen. Auf diesem Bild erkundet ein großes Exemplar von Ctena imbricatula seine Umgebung mit seinem Fuß, den es auf das Zehnfache seiner Körpergröße vergrößern kann. (© Laetitia Wilkins)
Mondmuscheln sind die artenreichste und am weitesten verbreitete Familie von Meeresmuscheln, die bakterielle Endosymbionten beherbergen. Auf diesem Bild erkundet ein großes Exemplar von Ctena imbricatula seine Umgebung mit seinem Fuß, den es auf das Zehnfache seiner Körpergröße vergrößern kann. (© Laetitia Wilkins)

Die Fa­mi­lie der Mond­mu­scheln (Lu­ci­ni­dae) um­fasst etwa 500 le­ben­de Ar­ten. Fos­si­li­en zei­gen, dass die­se Mu­scheln min­des­tens 400 Mil­lio­nen Jah­re alt sind. Sie le­ben in vie­len ver­schie­de­nen Le­bens­räu­men, von ma­le­ri­schen Strän­den bis hin­ab in die Tief­see, fern des Son­nen­lichts. Dass sie an so un­ter­schied­li­chen Or­ten le­ben kön­nen, liegt an ih­ren win­zi­gen “Kom­pli­zen”: schwe­fel­oxi­die­ren­de sym­bio­ti­sche Bak­te­ri­en, die den ty­pisch nach fau­len Ei­ern stin­ken­den Schwe­fel­was­ser­stoff als En­er­gie­quel­le für die Pri­mär­pro­duk­ti­on nut­zen. Sie ma­chen das ähn­lich der Pho­to­syn­the­se, sind aber un­ab­hän­gig vom Son­nen­licht und er­zeu­gen so ge­nug Zu­cker, um so­wohl sich selbst als auch die Mond­mu­scheln zu er­näh­ren.

Partner finden, aus nah und fern

Es ist eine Fra­ge von Le­ben und Tod für die Mond­mu­scheln: Die Su­che nach ei­nem ge­eig­ne­ten Part­ner in ih­rem Le­bens­raum. Sie müs­sen ihre bak­te­ri­el­len Un­ter­mie­ter schon in ei­nem sehr frü­hen Le­bens­sta­di­um auf­neh­men, wenn sie sich nach ih­rem Lar­ven­sta­di­um im Mee­res­bo­den nie­der­las­sen. Ab dann sind sie zur Er­näh­rung auf die bak­te­ri­el­len Sym­bi­on­ten an­ge­wie­sen. Das Pro­blem: Bak­te­ri­en sind win­zig und die Ozea­ne sind voll mit Un­men­gen mög­li­cher Kan­di­da­ten. Man wür­de er­war­ten, dass Tie­re, die so stark dar­auf an­ge­wie­sen sind, sich ihre Part­ner un­ter den “ein­hei­mi­schen” Bak­te­ri­en su­chen. Denn die­se Mi­kro­ben funk­tio­nie­ren ver­mut­lich am bes­ten un­ter den je­wei­li­gen Be­din­gun­gen vor Ort. Eine neue Stu­die, die mit me­ta­ge­no­mi­schen Ana­ly­sen die sym­bio­ti­schen Bak­te­ri­en in Mond­mu­scheln un­ter die Lupe nimmt, zeigt nun, dass dies nicht im­mer der Fall ist: Ei­ni­ge bak­te­ri­el­le Sym­bi­on­ten rei­sen um die Welt und sind wah­re Kos­mo­po­li­ten.

Diese Aufnahme aus dem Fluoreszenzmikroskop zeigt, dass die Kiemen der Mondmuscheln voll mit Symbionten (grün und magenta gefärbt) sind (Zellkerne der Muscheln in gold). Die Mondmuscheln beherbergen sie in spezialisierten Zellen, den Bakteriozyten. (© Lukas Leibrecht)
Diese Aufnahme aus dem Fluoreszenzmikroskop zeigt, dass die Kiemen der Mondmuscheln voll mit Symbionten (grün und magenta gefärbt) sind (Zellkerne der Muscheln in gold). Die Mondmuscheln beherbergen sie in spezialisierten Zellen, den Bakteriozyten. (© Lukas Leibrecht)

Weltweit verbreitete Symbionten

Mit Hilfe modernster Methoden der DNA-Sequenzierung und der Genom-Zusammensetzung (genome assembling) ha­ben wir fest­ge­stellt, dass in acht ver­schie­de­nen Mond­mu­schel­ar­ten eine ein­zi­ge Art sym­bio­ti­scher Bak­te­ri­en vor­herr­schend war – und die­se Mu­scheln leb­ten ver­streut über alle drei Welt­mee­re quer durch die Tro­pen bei­der Erd­halb­ku­geln”, be­rich­tet Laetitia Wilkins vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie in Bre­men, die ge­mein­sam mit Jay Os­va­tic von der Uni­ver­si­tät Wien Er­st­au­to­rin der Stu­die ist. “Die­se Sym­bi­on­ten sind prak­tisch über­all.” Kein an­de­rer be­kann­ter Sym­bi­ont ist so er­folg­reich dar­in, sich zu ver­brei­ten und mit Mond­mu­scheln zu ver­part­nern, be­rich­ten die For­schen­den. Sie ga­ben ihm den Na­men Candidatus Thio­diaz­o­tro­pha tay­lo­ri – “um die Weis­heit von John Tay­lor vom Na­tu­ral His­to­ry Mu­se­um in Lon­don zu wür­di­gen, der 25 Jah­re sei­nes Le­bens dem Stu­di­um der Bio­lo­gie und Ta­xo­no­mie der Mond­mu­scheln ge­wid­met hat”, er­klärt Os­va­tic.

"Die­ses über­ra­schen­de Er­geb­nis stellt das bis­he­ri­ge Kon­zept in Fra­ge, wo­nach Sym­bi­on­ten aus dem lo­ka­len Um­feld stam­men. Au­gen­schein­lich sind die Mond­mu­schel-Sym­bi­on­ten viel mo­bi­ler”, so Os­va­tic wei­ter. Die be­mer­kens­wer­te Fle­xi­bi­li­tät in die­ser Part­ner­schaft ist so­wohl für den Wirt als auch für die Sym­bi­on­ten von Vor­teil: Sie er­höht die Wahr­schein­lich­keit, in ver­schie­de­nen Le­bens­räu­men welt­weit ei­nen pas­sen­den Part­ner zu fin­den. Bis­lang kon­zen­trier­te sich die Mond­mu­schel­for­schung vor al­lem auf leicht zu­gäng­li­che Le­bens­räu­me. Nun prä­sen­tiert das Team um Wil­kins und Os­va­tic erst­mals ei­nen brei­ten und glo­ba­len Da­ten­satz, der die­se neue Ent­de­ckung und si­cher auch noch wei­te­re er­mög­licht und an dem die Ver­bin­dun­gen zwi­schen weit ent­fern­ten Le­bens­räu­men un­ter­sucht wer­den kön­nen.

Teamwork in der Forschung auf der Suche nach Teamwork in der Natur

Um die enge Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen Bak­te­ri­en und Mond­mu­scheln zu er­for­schen, be­durf­te es auch ei­ner en­gen und welt­wei­ten Zu­sam­men­ar­beit zahl­rei­cher For­schen­der. “Un­se­re Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen (und jetzt Freun­din­nen und Freun­de) auf der gan­zen Welt ha­ben uns Zu­gang zu ei­ner noch nie un­ter­such­ten Viel­falt an Mond­mu­scheln ver­schafft, so­wohl di­rekt aus der Na­tur als auch aus Mu­se­en”, sagt Be­ne­dict Yuen von der Uni­ver­si­tät Wien, Mit­au­tor der Ver­öf­fent­li­chung. “Durch John Tay­lor er­hiel­ten wir Zu­gang zu ei­ner gro­ßen Viel­falt an Pro­ben im Na­tu­ral His­to­ry Mu­se­um in Lon­don. Wei­te­re Pro­ben wur­den auch per­sön­lich von un­se­rem Team und un­se­ren Mit­ar­bei­ten­den Mat­t­hieu Le­r­ay in Pa­na­ma, Yo­lan­da Ca­ma­cho in Cos­ta Rica, Oli­vier Gros in Gua­de­lou­pe und Jan A. van Gils in Mau­re­ta­ni­en ge­sam­melt.”

Hier fühlen sich die untersuchten Muscheln wohl: Der Lebensraum der Mondmuscheln ist durch sandige Flecken innerhalb von Seegraswiesen (Thalassia testudinum), hier in in Bocas del Toro, Panama, gekennzeichnet. (© Laetitia Wilkins)
Hier fühlen sich die untersuchten Muscheln wohl: Der Lebensraum der Mondmuscheln ist durch sandige Flecken innerhalb von Seegraswiesen (Thalassia testudinum), hier in in Bocas del Toro, Panama, gekennzeichnet. (© Laetitia Wilkins)

Außerdem entdeckt: Zwei neue Arten in trauter Zweisamkeit

Dar­über hin­aus führ­te die um­fang­rei­che Da­ten­samm­lung von Wil­kins, Os­va­tic und ih­rem Team zur Ent­de­ckung und Be­schrei­bung von zwei neu­en Mond­mu­schel-Sym­bi­on­ten. Be­nannt wur­den die bei­den nach Mi­ri­am We­ber und Chris­ti­an Lott, bei­de ehe­ma­li­ge For­schen­den des Max-Planck-In­sti­tuts für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie. Die­se Sym­bi­on­ten – jetzt be­kannt als Thiodioazotropha weberae und lotti – stam­men aus der Mu­schel­art Loripes orbiculatus auf der ita­lie­ni­schen In­sel Elba, wo sie ein­träch­tig in den Kie­men des­sel­ben Wirts ko­exis­tie­ren. “Be­vor ge­no­mi­sche Ana­ly­sen ein­ge­setzt wur­den, nahm man an, dass jede Mu­schel nur eine Art von Sym­bi­on­ten be­her­bergt”, er­klärt Wil­kins. “Vie­le Mu­scheln auf Elba be­hei­ma­ten je­doch zwei Sym­bi­on­ten­ar­ten. Mi­ri­am und Chris­ti­an ent­deck­ten die­se Mu­schel­po­pu­la­ti­on in der Bucht von Fe­to­vaia und sie ha­ben uns er­mög­licht, ei­nen sehr aus­sa­ge­kräf­ti­gen Da­ten­satz zu die­ser Sym­bio­se zu er­stel­len.”


Als nächs­tes wol­len die Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler her­aus­fin­den, wie die Sym­bi­on­ten rei­sen. “Sie ver­las­sen ihre si­che­re Mu­schel­hei­mat, um den Glo­bus zu über­que­ren”, sagt Mit­au­to­rin Jil­li­an Pe­ter­sen von der Uni­ver­si­tät Wien. “So­wohl nütz­li­che Sym­bi­on­ten wie Candidatus T. tay­lo­ri als auch Krank­heits­er­re­ger kön­nen sich in der Um­welt aus­brei­ten, aber wir wis­sen nor­ma­ler­wei­se nicht, wie.”

Ori­gi­nal­ver­öf­fent­li­chung

Be­tei­lig­te In­sti­tu­tio­nen

Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie, Deutsch­land

Uni­ver­si­tät Wien, Öster­reich

Uni­ver­si­ty of Ca­li­for­nia, Da­vis, USA

Smith­so­ni­an Tro­pi­cal Re­se­arch In­sti­tu­te, Re­pu­blik Pa­namá

Uni­ver­si­dad de Cos­ta Rica, Cos­ta Rica

Uni­ver­sité des An­til­les, Gua­de­lou­pe 

Roy­al Nether­lands In­sti­tu­te for Sea Re­se­arch, Nie­der­lan­de

Rück­fra­gen bit­te an:

Max-Planck Forschungsgruppenleiterin

Dr. Laetitia Wilkins

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

2506

Telefon: 

+49 421 2028-8750

Dr. Laetitia Wilkins

Pressereferentin

Dr. Fanni Aspetsberger

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

Raum: 

1345

Telefon: 

+49 421 2028-9470

Dr. Fanni Aspetsberger

Mehr Bil­der:

Laetitia Wilkins und Benedict Yuen sezieren in Cahuita, Costa Rica, frisch gesammelte Muscheln. (© Laetitia Wilkins)
Laetitia Wilkins und Benedict Yuen sezieren in Cahuita, Costa Rica, frisch gesammelte Muscheln. (© Laetitia Wilkins)
Laetitia Wilkins und Benedict Yuen bei der Probenahme von Muscheln in Bocas del Toro, Panama, in einem Mangrovengebiet. (© Jonathan Eisen)
Laetitia Wilkins und Benedict Yuen bei der Probenahme von Muscheln in Bocas del Toro, Panama, in einem Mangrovengebiet. (© Jonathan Eisen)
John Taylor vom Londoner Naturkundemuseum zeigt Jay Osvatic eine Schale von Meganodontia acetabulum, der größten lebenden Mondmuschel. (© Benedict Yuen)
John Taylor vom Londoner Naturkundemuseum zeigt Jay Osvatic eine Schale von Meganodontia acetabulum, der größten lebenden Mondmuschel. (© Benedict Yuen)
Back to Top