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Kei­ne Spur vom Weih­nachts­mann

Ein etwas anderer Forschungsblog aus Spitzbergen

Von Rudolf Amann, Kathrin Büttner, Katrin Knittel, Sebastian Miksch und Jörg Wulf

Am 13. De­zem­ber 2018 star­te­te di­rekt von un­se­rer In­sti­tuts-Weih­nachts­fei­er (be­kannt als Ju­le­fro­kost) – ge­nau­er ge­sagt nach dem Räu­cher­fisch und vor dem Bra­ten - eine Ex­pe­di­ti­on der Ab­tei­lung für Mo­le­ku­la­re Öko­lo­gie nach Lon­gye­ar­by­en auf Spitz­ber­gen. Spitz­ber­gen ist eine zu Nor­we­gen ge­hö­ren­de In­sel­grup­pe im Ark­ti­schen Oze­an. Pri­mär ging es bei der Ex­pe­di­ti­on um san­di­ge Küs­ten­sedi­men­te im Is­fjor­den, ei­nem Fjord auf der West­sei­te der In­sel. Die For­sche­rIn­nen in­ter­es­sier­ten sich vor al­lem für die Jah­res­zei­ten im dor­ti­gen Mee­res­bo­den. Denn wäh­rend die For­schung der Ab­tei­lung für die Bak­te­ri­en im Was­ser (das Bak­te­rio­plank­ton) alle Jah­re wie­der mit gro­ßem Ein­satz eine ausgeprägte Jahreszeitlichkeit an der Station Kabeltonne vor Helgoland in der Deutschen Bucht der Nordsee zei­gen kann, ist es ex­trem schwie­rig, sol­che ta­xo­no­mi­schen und funk­tio­nel­len Schwan­kun­gen auch bei den Bak­te­ri­en des Mee­res­bo­dens nach­zu­wei­sen. Auf 78 Grad Nord im Po­lar­meer soll­te dies ein­fa­cher sein als vor Hel­go­land. Hier ist die Sai­so­na­li­tät stark aus­ge­prägt: Drei Mo­na­te herrscht Po­lar­nacht, und die Ta­ges­län­ge schwankt nicht – wie auf Hel­go­land – zwi­schen 8 und 16 Stun­den, son­dern zwi­schen 0 und 24 Stun­den. Dazu kommt, dass ein Aus­läu­fer des Golf­stroms und der Kli­ma­wan­del den Is­fjor­den ganz­jäh­rig eis­frei hal­ten und wie vor Hel­go­land san­di­ger Mee­res­bo­den zu fin­den ist. Al­ler­dings ist der Sand nicht ein­fach zu fin­den, da schli­ckig-schlam­mi­ge Se­di­men­te do­mi­nie­ren, die schon un­ser ehe­ma­li­ger Di­rek­tor Bo Barker Jørgensen er­forscht hat.

v.l.n.r.: Jörg Wulf, Rudolf Amann, Katrin Knittel, Kathrin Büttner, Sebastian Miksch in Lon­gye­ar­by­en auf Spitz­ber­gen (© MPIMM, K. Knittel)
v.l.n.r.: Jörg Wulf, Rudolf Amann, Katrin Knittel, Kathrin Büttner, Sebastian Miksch in Lon­gye­ar­by­en auf Spitz­ber­gen (© MPIMM, K. Knittel)
Die Farm im Isfjord vor Spitzbergen (© MPIMM, K. Knittel)
Die Farm im Isfjord vor Spitzbergen (© MPIMM, K. Knittel)

Und war­um in­ter­es­siert uns das? San­di­ge Küs­ten­sedi­men­te sind für die glo­ba­len Stoff­kreis­läu­fe sehr wich­tig. Dort wird or­ga­ni­sches Ma­te­ri­al, das von Al­gen­blü­ten in den Mee­ren oder Ein­trä­gen aus Flüs­sen stammt, sehr ef­fi­zi­ent von so­ge­nann­ten he­te­ro­tro­phen Bak­te­ri­en ab­ge­baut. Die Küs­ten­san­de wir­ken so wie gro­ße Bio­re­ak­to­ren, die das Meer rei­ni­gen. Durch die Mi­ne­ra­li­sie­rung wird ganz­jäh­rig Bio­mas­se zu Nähr­stof­fen zer­legt, die zu­sam­men mit Son­ne, Was­ser und Koh­len­di­oxid die Grund­la­ge für die Pho­to­syn­the­se bil­den. So wer­den die bio­geo­che­mi­schen Kreis­läu­fe ge­schlos­sen und die Grund­la­gen für das Le­ben er­hal­ten.

Nun war die Su­che nach san­di­gen Se­di­men­ten aber nicht die gan­ze Wahr­heit, denn be­son­ders die jün­ge­ren Ex­pe­di­ti­ons­teil­neh­mer – Kathrin Büttner und Sebastian Miksch als Dok­to­rand im ers­ten Jahr – woll­ten auch über­prü­fen, ob der Weih­nachts­mann wirk­lich hier auf Spitz­ber­gen, nur 1300 km vom Nord­pol ent­fernt, zu­hau­se ist. Eine in­ten­si­ve Be­ge­hung al­ler Stra­ßen – es sind nicht vie­le – und selbst der Vor­or­te Lon­gye­ar­by­ens am Sams­tag er­gab mit ei­nem ein­sa­men, ge­weih­lo­sen Ren­tier eine ers­te Spur. Dar­auf­hin ent­schlos­sen sich alle Ex­pe­di­ti­ons­teil­neh­mer am Sonn­tag das Ad­vent­da­len bis zum Ende mit Schnee­mo­bi­len zu er­kun­den, was sich letzt­lich als ge­nau­so kalt und dun­kel wie er­geb­nis­los er­wies. Auch von den ver­spro­che­nen Po­lar­lich­tern war trotz ster­nen­kla­rem Him­mel bei -15 Grad Cel­si­us und Wind von 50 km/​h nichts zu se­hen. Der orts­kun­di­ge Füh­rer ver­si­cher­te zwar, dass es die häu­fig ge­ben soll­te und ja je­des Kind wis­se, dass der Weih­nachts­mann auf Spitz­ber­gen woh­nen wür­de. Er ver­un­si­cher­te die Bre­mer Wis­sen­schaft­le­rIn­nen aber auch mit der Aus­sa­ge, dass nur weib­li­che Ren­tie­re im Win­ter ihr Ge­weih be­hal­ten und des­halb Ru­dolf, das be­rühm­te Ren­tier mit der ro­ten Nase, eine Ru­dol­fi­ne sein müss­te. Das ir­ri­tier­te mit Rudolf Amann be­son­ders ei­nen der er­fah­re­ne­ren Teil­neh­mer sehr.

So ging es am Mon­tag­mor­gen noch ohne bahn­bre­chen­de neue Er­kennt­nis­se bei et­was we­ni­ger Wind und gleich­blei­bend nied­ri­gen Tem­pe­ra­tu­ren auf das For­schungs­schiff Farm, das schon län­ger durch das Po­lar­meer fährt als der be­rühm­te Eis­bre­cher Po­lar­stern. Dort tra­fen sich alte Be­kann­te wie­der: Vier der Bre­mer Wis­sen­schaft­le­rIn­nen - ne­ben Katrin Knittel (PI), Se­bas­ti­an und Rudi auch der schiffs­er­prob­te Jörg Wulf - kann­ten nicht nur das Schiff son­dern auch ih­ren Ka­pi­tän Mr. Stig. Der wur­de üb­ri­gens an Bord von sei­nem Va­ter als Steu­er­mann und sei­ner As­sis­ten­tin Lucy als Frau an der Win­de un­ter­stützt. Der Weg führ­te uns bis fast vor die rus­si­sche Po­lar­sta­ti­on und Berg­ar­bei­ter­sied­lung Ba­rents­burg, wo wir wie schon bei vor­an­ge­gan­ge­nen Ex­pe­di­tio­nen san­di­ge Se­di­men­te fan­den. Die Pro­be­nah­me muss­te schnell er­fol­gen, da nicht nur die Meer­was­ser­pro­ben, son­dern auch das Se­di­ment in­ner­halb von Mi­nu­ten ge­fro­ren und dann an Por­tio­nie­ren und Fil­trie­ren nicht mehr zu den­ken war. Ab­ge­se­hen da­von er­kal­te­ten dann auch alle Glied­ma­ßen, ne­ben Fin­gern in nas­sen Hand­schu­hen auch Ze­hen in den Über­le­bens­an­zü­gen und vor al­lem auch Na­sen­spit­zen er­heb­lich. Nach kur­zer Zeit war das Deck mit Eis be­deckt. So war es gut, dass Se­bas­ti­an, der Dok­to­rand am Se­di­ment­grei­fer, an der kur­zen Lei­ne mit ei­nem Ka­ra­bi­ner ge­si­chert war. Nach gut 5 Stun­den vor Ba­rents­burg, wo auf dem schwan­ken­den Schiff be­son­ders Kath­rin al­les  ge­ge­ben hat­te, ging es wie­der zu­rück nach Lon­gye­ar­by­en. Auf dem Weg zu­rück er­zähl­te uns Ka­pi­tän Stig, dass er Po­lar­lich­ter ge­se­hen hat­te, wäh­rend wir im Licht des Deck­schein­wer­fers im Sand ge­wühlt hät­ten. So stieg un­se­re Hoff­nung, auch noch ei­nen Blick auf die­ses Na­tur­schau­spiel zu er­ha­schen.

Und in der Tat war es Kat­rin, die beim Ein­lau­fen in Lon­gye­ar­by­en die ers­ten Po­lar­lich­ter sah, die sich in we­ni­gen Mi­nu­ten wirk­lich spek­ta­ku­lär ent­wi­ckel­ten. Kath­rin wur­de dar­auf­hin ab­ge­stellt, die Ent­la­dung der Farm un­ter Po­lar­lich­tern im Schein des Mon­des und der Deck­schein­wer­fer zu do­ku­men­tie­ren, was wir mit den hier ge­zeig­ten Bil­dern be­le­gen. Wie bei Max-Planck-Wis­sen­schaft­le­rIn­nen üb­lich ha­ben wir da­bei auf je­den Ein­satz von Bild­ver­ar­bei­tung ver­zich­tet und des­halb zeich­net sich vor dem Mond auch bei größ­ter Ver­grö­ße­rung NICHT der Weih­nacht­mann mit sei­nem von Ren­tie­ren ge­zo­ge­nen Schlit­ten (mit da­bei Ru­dol­fi­ne, wie wir nicht ver­ges­sen soll­ten!) ab.

Also: Wir ha­ben Sand ge­fun­den und Po­lar­lich­ter ge­se­hen, aber wei­ter­hin kei­ne Spur vom Weih­nachts­mann! Hier ist aber zu be­ach­ten, dass die Wis­sen­schafts­theo­rie dar­auf be­steht, dass die Ab­we­sen­heit von Evi­denz kei­ne Evi­denz für Ab­we­sen­heit ist und so­mit eine end­gül­ti­ge Schluss­fol­ge­rung nicht mög­lich ist.

Nordlichter über Spitzbergen (© MPIMM, K. Knittel)
Nordlichter über Spitzbergen (© MPIMM, K. Büttner)

Wir wünschen allen Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch in ein gesundes und erfolgreiches Neues Jahr!   

Nordlichter über Spitzbergen
Nordlichter über Spitzbergen (© MPIMM, K. Büttner)
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