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Gift at­men: Mi­kro­bi­el­les Le­ben dank Stick­oxid

10.07.2023
For­schen­de ent­de­cken und cha­rak­te­ri­sie­ren zwei neue Mi­kro­or­ga­nis­men in ei­ner Lang­zeit­kul­tur, die auf dem gif­ti­gen Gas Stick­stoff­mon­oxid wach­sen und es voll­stän­dig zu N2 re­du­zie­ren.

Stickstoffmonoxid (NO) ist ein zentrales Molekül im globalen Stickstoffkreislauf, und es ist giftig. Ob und wie Mikroorganismen NO als Substrat zum Wachsen nutzen können, ist kaum erforscht. Forschenden des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen ist es gelungen, seit mittlerweile mehr als vier Jahren Mikroorganismen auf NO wachsen zu lassen. Die Gemeinschaft wird von zwei bisher unbekannten Arten dominiert, deren Stoffwechsel genau unter die Lupe genommen wurde. Die Ergebnisse, jetzt in Na­tu­re Mi­cro­bio­lo­gy veröffentlicht, geben einen Einblick in die Physiologie der NO-reduzierenden Mikroorganismen, die eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle klimaaktiver Gase, in Klärwerken und bei der Entwicklung der Nitrat- und Sauerstoffatmung spielen.

Stick­stoff­mon­oxid (NO) ist ein fas­zi­nie­ren­des und viel­sei­ti­ges Mo­le­kül, wich­tig für alle Le­be­we­sen und un­se­re Um­welt. Es ist gif­tig und sehr re­ak­ti­ons­freu­dig, es kann Si­gna­le über­tra­gen, es zer­stört die Ozon­schicht un­se­res Pla­ne­ten und es ist der Vor­läu­fer des Treib­haus­ga­ses Lach­gas (N2O). Zu­dem könn­te NO eine grund­le­gen­de Rol­le bei der Ent­ste­hung und Ent­wick­lung des Le­bens ge­spielt ha­ben, da es als en­er­gie­rei­ches Oxi­da­ti­ons­mit­tel ver­füg­bar war, lan­ge be­vor es auf der Erde Sau­er­stoff gab.

Trotz sei­ner to­xi­schen Wir­kung ist es also durch­aus sinn­voll für Mi­kro­or­ga­nis­men, NO zum Wach­sen zu nut­zen. Bis­lang wur­de aber nur we­nig zu dem The­ma ge­forscht und es war noch nicht ge­lun­gen, Mi­kro­or­ga­nis­men, die auf NO wach­sen, zu kul­ti­vie­ren. Das hat sich nun ge­än­dert, be­rich­ten For­schen­de um Pa­lo­ma Gar­ri­do Ama­dor und Bo­ran Kar­tal vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie in Bre­men in der Zeit­schrift Nature Microbiology. Ih­nen ist es ge­lun­gen, zwei bis­her un­be­kann­te Ar­ten von Mi­kro­or­ga­nis­men, die auf NO in Bio­re­ak­to­ren wach­sen, an­zu­rei­chern und span­nen­de As­pek­te ih­rer Le­bens­wei­se auf­zu­de­cken.

Paloma Garrido Amador
Paloma Garrido Amador neben den Bioreaktoren, in denen die NO-atmenden Mikroorganismen seit mehr als vier Jahren in einem Labor des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie leben. © Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie/Alexandra Krüger

Aus der Klär­an­la­ge in den Bio­re­ak­tor

Die Stu­die be­gann mit ei­nem Be­such in der Bre­mer Klär­an­la­ge. „Wir sam­mel­ten Schlamm aus dem De­ni­tri­fi­ka­ti­ons­be­cken“, be­rich­tet Gar­ri­do Ama­dor. „Den brach­ten wir in un­ser La­bor, füll­ten ihn in ei­nen un­se­rer Bio­re­ak­to­ren und be­gan­nen die In­ku­ba­ti­on, in­dem wir ihn mit NO füt­ter­ten.“ Bio­re­ak­to­ren die­nen dazu, Mi­kro­or­ga­nis­men un­ter kon­trol­lier­ten Be­din­gun­gen, die ih­rer na­tür­li­chen Um­ge­bung sehr ähn­lich sind, zu züch­ten. Die Ein­rich­tung die­ses Bio­re­ak­tors war je­doch eine gro­ße Her­aus­for­de­rung, er­zählt Gar­ri­do Ama­dor: „Da NO gif­tig ist, be­nö­tig­ten wir spe­zi­el­le Aus­rüs­tung und muss­ten sehr vor­sich­tig mit den Kul­tu­ren um­ge­hen, um uns selbst nicht zu ge­fähr­den. Trotz­dem ist es uns ge­lun­gen, die Kul­tu­ren seit mehr als vier Jah­ren wach­sen zu las­sen – und sie sind im­mer noch wohl­auf!“

Zwei neue Mi­kro­or­ga­nis­men

Die Be­din­gun­gen im Bio­re­ak­tor be­vor­zug­ten also Mi­kro­or­ga­nis­men, die in An­we­sen­heit von NO le­ben und an­ae­rob wach­sen kön­nen. „Es zeig­te sich, dass zwei bis­her un­be­kann­te Ar­ten die Kul­tur do­mi­nier­ten“, sagt Bo­ran Kar­tal, Grup­pen­lei­ter der For­schungs­grup­pe Mi­kro­bi­el­le Phy­sio­lo­gie am Max-Planck-In­sti­tut in Bre­men. „Wir nann­ten sie Nitricoxidivorans perserverans und Nitricoxidireducens bremensis.“ Gar­ri­do Ama­dor er­gänzt: „An­hand die­ser zwei Mi­kro­ben, die auf NO wach­sen, ha­ben wir viel dar­über her­aus­ge­fun­den, wie so­ge­nann­te Nicht-Mo­dell­or­ga­nis­men – ins­be­son­de­re sol­che, die NO re­du­zie­ren – wach­sen. Ei­ni­ge un­se­rer Be­ob­ach­tun­gen ma­chen deut­lich, dass die­se Mi­kro­ben sich an­ders ver­hal­ten als Mo­dell­or­ga­nis­men – Or­ga­nis­men, die leicht zu kul­ti­vie­ren und da­her um­fas­send er­forscht sind. Wir zei­gen auch, dass Aus­sa­gen über den mi­kro­bi­el­len Stoff­wech­sel al­lein an­hand von Ge­nom­ana­ly­sen nur ein­ge­schränkt mög­lich sind.“

Be­deu­tung für die Um­welt und prak­ti­sche An­wen­dun­gen

„Der­zeit wis­sen wir nur we­nig dar­über, wie Mi­kro­or­ga­nis­men, die auf NO wach­sen, zum Stick­stoff­kreis­lauf in na­tür­li­chen und künst­li­chen Le­bens­räu­men bei­tra­gen“, er­klärt Kar­tal. „Wir ver­mu­ten aber, dass die­se Mi­kro­or­ga­nis­men sich von NO und N2O, das von an­de­ren Mi­kro­or­ga­nis­men frei­ge­setzt wird, er­näh­ren, und da­durch ni­tro­sa­ti­ven Stress und die Frei­set­zung die­ser kli­ma­wirk­sa­men Gase in die At­mo­sphä­re ver­rin­gern könn­ten.“

Die an­ge­rei­cher­ten Mi­kro­or­ga­nis­men wa­ren sehr ef­fi­zi­ent dar­in, NO in mo­le­ku­la­ren Stick­stoff (N2) um­zu­wan­deln. „Es gab prak­tisch kei­ne Frei­set­zung des Treib­haus­ga­ses Lach­gas“, so Kar­tal wei­ter. Die­se al­lei­ni­ge Pro­duk­ti­on von N2 ist für prak­ti­sche An­wen­dun­gen be­son­ders re­le­vant: Vie­le an­de­re Mi­kro­or­ga­nis­men wan­deln NO in Lach­gas um, das ein star­kes Treib­haus­gas ist. N2 hin­ge­gen ist harm­los. Je­des Mo­le­kül NO, das in N2 statt in Lach­gas um­ge­wan­delt wird, ist also ein Mo­le­kül we­ni­ger, das zum Kli­ma­wan­del bei­trägt.

In ei­nem nächs­ten Schritt kul­ti­vie­ren die Max-Planck-For­schen­den wei­te­re NO-at­men­de Mi­kro­or­ga­nis­men, die sie in na­tür­li­chen und künst­li­chen Le­bens­räu­men sam­meln. „Durch die Kul­ti­vie­rung und An­rei­che­rung wei­te­rer NO-at­men­der Mi­kro­or­ga­nis­men wer­den wir die Evo­lu­ti­on der Stick­oxid-Re­duk­ti­on und der be­tei­lig­ten En­zy­me bes­ser ver­ste­hen. So wer­den wir auch die Rol­le von NO in be­kann­ten und noch un­be­kann­ten Pro­zes­sen des Stick­stoff­kreis­laufs und sei­ne Be­deu­tung in na­tür­li­chen und künst­li­chen Um­ge­bun­gen, in de­nen die­se Pro­zes­se ab­lau­fen, ent­schlüs­seln kön­nen“, schließt Gar­ri­do Ama­dor.

Ori­gi­nal­ver­öf­fent­li­chung

Pa­lo­ma Gar­ri­do-Ama­dor, Niek Stor­ten­be­ker, Hans J.C.T. Wes­sels, Daan R. Speth, In­ma­cu­la­da Gar­cia-Here­dia, Bo­ran Kar­tal (2023): En­rich­ment and cha­rac­te­riza­t­i­on of a nitric oxi­de-re­du­cing mi­cro­bi­al com­mu­ni­ty in a con­ti­nuous bio­re­ac­tor. Na­tu­re Mi­cro­bio­lo­gy (2023). Pu­blis­hed on­line July 10, 2023.

DOI: 10.1038/​s41564-023-01425-8

Be­tei­lig­te In­sti­tu­tio­nen

  • Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Celsiusstraße 1, 28359, Bremen, Deutschland
  • Translational Metabolic Laboratory, Department of Laboratory Medicine, Radboud University Medical Center, Geert Grootepleinzuid 10, 6525GA, Nijmegen, Niederlande
  • School of Science, Constructor University, Universität Bremen, Campus Ring 1, 28759, Bremen, Deutschland

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Rück­fra­gen bit­te an:

Forschungsgruppe Mikrobielle Physiologie

Paloma Garrido Amador

MPI für Marine Mikrobiologie
Celsiusstr. 1
D-28359 Bremen

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Paloma Garrido Amador

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Forschungsgruppe Mikrobielle Physiologie

Dr. Boran Kartal

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Dr. Boran Kartal

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Dr. Fanni Aspetsberger

MPI für Marine Mikrobiologie
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Dr. Fanni Aspetsberger
 
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